Hajo Behrendt
Beiträge: 1519
Wohnort: Metropole und Welthauptstadt Wasbek (bei Neumünster) - Schleswig-Holstein
Qualifikation: RettAss
Wohnort: Metropole und Welthauptstadt Wasbek (bei Neumünster) - Schleswig-Holstein
Qualifikation: RettAss
DER EINSATZ...
Der diensthabende Rettungsassistent eines Berufsschulzentrums wird anlässlich einer Schulsportveranstaltung gerufen. Als Einsatzstichwort erging die Meldung "Schüler kollabiert".
SITUATION VOR ORT:
Bei Eintreffen am Notfallort 40 Sekunden nach Alarmierung liegt ein 19-jähriger, sehr schlanker Schüler ansprechbar in Rückenlage auf dem Hallenboden.
Der Schüler (Hobbysportler) gibt an, sich bereits seit dem frühen Morgen nicht gut zu fühlen. Beim Uni-Hockey/Floorball-Spiel bekam der Schüler plötzlich Brustschmerzen, spielte dennoch weiter und kollabierte nach ca. 10 Minuten Spiel.
Als weitere Symptome treten Dyspnoe (Atemnot), Übelkeit und eine Schmerzausstrahlung in den Oberbauch auf, wobei die Brustschmerzen nicht atemabhängig sind, sondern kontinuierlich vorherrschen. Die Person fühlt sich schwach.
Es wird daraufhin versucht, die Person von einer Flachlagerung in eine Oberkörper-Hochlagerung zu verbringen und ein Notruf mit der Verdachtsdiagnose "Kollabierte Person, Verdacht Akutes Koronarsyndrom unter Belastung" wird durch eine weitere Lehrkraft veranlasst. Die Person toleriert jedoch kein Aufrichten, schließlich kann ein Vakuum-Schienensatz unter den Oberkörper geschoben und so zumindest eine geringe Hochlagerung erreicht werden.
Es folgt eine weitere Anamneseerhebung nach dem S-KAMEL-Schema. Dieses ergibt keine Vorerkrankungen / Medikamenteneinnahmen oder Allergien). Der parallel am Handgelenk gemessene Puls beträgt ca. 200 Schläge / min, obwohl die körperliche Belastung schon einige Minuten zurückliegt. Daher steht eine tachykarde Herzrhythmusstörung als weiterer Versacht im Raum. Es fällt an dieser Stelle erstmals eine schnelle Atmung auf, die zunächst auf die subjektiv empfundene Dyspnoe zurückgeführt wird. Es erfolgt die Anlage eines Pulsoximeters (Nellcor N 65, SpO² 100%) und die Durchführung einer manuellen Blutdruckmessung, die einen Wert von 160 / 100 mmHg ergibt. Weitere Gerätediagnostische Maßnahmen erfolgen zu diesem Zeitpunkt nicht. Auf das Nachholen eines (vorhandenen) EKG-Gerätes wird aufgrund der erwarteten kurzen Zeit bis zum Eintreffen der Rettungsmittel verzichtet, allerdings wird ein AED-Gerät vorbereitet und bei der nach wie vor im Raum stehenden Verdachtsdiagnose ACS Reanimationsbereitschaft hergestellt. Auf eine Sauerstoffinhalation wird bei guter Sättigung leitliniengemäß verzichtet.
Die Person klagt nach wie vor über Brustschmerz und Atemnot und hyperventilliert jetzt erkennbar, Beruhigungsversuche ("Talk down") zeigen keine Wirkung. Unter diesem Umständen trifft ca. 10 Minuten nach Alarmierung ein RTW ein, die örtlich zuständige Leitstelle hatte die Alarmierung eines Notarztes nicht für notwendig erachtet.
Für das behandelnde Rettungsdienstteam steht nach Übergabe und Ableitung eines (unauffälligen) 6-Kanal-EKGs die Hyperventilation im Vordergrund, die mittels Rückatmemmaske zu beheben versucht wird. Allerdings zeigt auch diese Maßnahme keine Wirkung, so dass sich der Rettungsdienst zu einer zügigen Zuführung ins Krankenhaus entschließt. Weitere Maßnahmen werden zumindest vor Ort nicht durchgeführt. Beim Umlagern kollabiert der Patient erneut und macht einen zunehmend abwesenden Eindruck.
WEITERER VERLAUF:
Bei Eintreffen im Krankenhaus wird eine Routine-Blutuntersuchung durchgeführt. Diese zeigt einen massiv erhöhten BZ-Wert. Der Patient wird zur weiteren Abklärung bei Verdacht auf Diabetes-Erstmanifestation stationär aufgenommen und weiterführenden Untersuchungen zugeführt. Eine Bestimmung des Blutzucker-Wertes erfolgte weder durch die Schule noch durch den Rettungsdienst, obwohl diese gerätevorhaltungstechnisch möglich gewesen wäre.
DISKUSSION:
An dieser Stelle weise ich nochmals auf die Wichtigkeit einer Blutzuckermessung auch im präklinischen Bereich hin. Der Rettungsassistent hatte hierauf verzichtet, um nicht durch möglicherweise unnötige invasive Maßnahmen "negativ aufzufallen" (an der Schule wurde ein Konzeptvorschlag zum Aufbau eines SSDs eingereicht, über den zurzeit beschieden wird). Auch wenn hieraus (meist) keine therapeutische Konsequenz für den SSD erfolgt, können ggf. erstmalig auftretene Entgleisungen als solche erkannt und in die Erhebung einer Verdachtsdiagnose einbezogen werden.
Alle Symptome passten sowohl zum ACS als auch zur (erstmalig aufgetretenen) Hyperglykämie.
Gute weiterführende Informationen zur Hyperglykämie erhält man auch hier:
http://www.medizinfo.de/diabetes/krankheitsbild/hyperglykaemie_ketoazidose.shtml
Diabetische Entgleisungen können auch im Bereich von Berufsschulen auftreten (und treten bei uns auch ca. einmal im Jahr auf). Daher sollten Sie stets mit in die Auswahl der Verdachtsdiagnose einbezogen werden. Eine Blutzuckermessung sollte zu den Routinemaßnahmen gehören, sofern das SSD-Personal entsprechend geschult ist.
Edit: a.) Rechtschreibung
b). beim durch die Klinik bestimmten BZ-Wert habe ich jetzt unterschiedliche Werte gehört. Es ist aber in meinen Augen unerheblich, ob der BZ-Wert bei über 600 oder bei über 1000 mg/dl lag. Auf jeden Fall war er massiv erhöht und Ursache für die Beschwerden.
Der diensthabende Rettungsassistent eines Berufsschulzentrums wird anlässlich einer Schulsportveranstaltung gerufen. Als Einsatzstichwort erging die Meldung "Schüler kollabiert".
SITUATION VOR ORT:
Bei Eintreffen am Notfallort 40 Sekunden nach Alarmierung liegt ein 19-jähriger, sehr schlanker Schüler ansprechbar in Rückenlage auf dem Hallenboden.
Der Schüler (Hobbysportler) gibt an, sich bereits seit dem frühen Morgen nicht gut zu fühlen. Beim Uni-Hockey/Floorball-Spiel bekam der Schüler plötzlich Brustschmerzen, spielte dennoch weiter und kollabierte nach ca. 10 Minuten Spiel.
Als weitere Symptome treten Dyspnoe (Atemnot), Übelkeit und eine Schmerzausstrahlung in den Oberbauch auf, wobei die Brustschmerzen nicht atemabhängig sind, sondern kontinuierlich vorherrschen. Die Person fühlt sich schwach.
Es wird daraufhin versucht, die Person von einer Flachlagerung in eine Oberkörper-Hochlagerung zu verbringen und ein Notruf mit der Verdachtsdiagnose "Kollabierte Person, Verdacht Akutes Koronarsyndrom unter Belastung" wird durch eine weitere Lehrkraft veranlasst. Die Person toleriert jedoch kein Aufrichten, schließlich kann ein Vakuum-Schienensatz unter den Oberkörper geschoben und so zumindest eine geringe Hochlagerung erreicht werden.
Es folgt eine weitere Anamneseerhebung nach dem S-KAMEL-Schema. Dieses ergibt keine Vorerkrankungen / Medikamenteneinnahmen oder Allergien). Der parallel am Handgelenk gemessene Puls beträgt ca. 200 Schläge / min, obwohl die körperliche Belastung schon einige Minuten zurückliegt. Daher steht eine tachykarde Herzrhythmusstörung als weiterer Versacht im Raum. Es fällt an dieser Stelle erstmals eine schnelle Atmung auf, die zunächst auf die subjektiv empfundene Dyspnoe zurückgeführt wird. Es erfolgt die Anlage eines Pulsoximeters (Nellcor N 65, SpO² 100%) und die Durchführung einer manuellen Blutdruckmessung, die einen Wert von 160 / 100 mmHg ergibt. Weitere Gerätediagnostische Maßnahmen erfolgen zu diesem Zeitpunkt nicht. Auf das Nachholen eines (vorhandenen) EKG-Gerätes wird aufgrund der erwarteten kurzen Zeit bis zum Eintreffen der Rettungsmittel verzichtet, allerdings wird ein AED-Gerät vorbereitet und bei der nach wie vor im Raum stehenden Verdachtsdiagnose ACS Reanimationsbereitschaft hergestellt. Auf eine Sauerstoffinhalation wird bei guter Sättigung leitliniengemäß verzichtet.
Die Person klagt nach wie vor über Brustschmerz und Atemnot und hyperventilliert jetzt erkennbar, Beruhigungsversuche ("Talk down") zeigen keine Wirkung. Unter diesem Umständen trifft ca. 10 Minuten nach Alarmierung ein RTW ein, die örtlich zuständige Leitstelle hatte die Alarmierung eines Notarztes nicht für notwendig erachtet.
Für das behandelnde Rettungsdienstteam steht nach Übergabe und Ableitung eines (unauffälligen) 6-Kanal-EKGs die Hyperventilation im Vordergrund, die mittels Rückatmemmaske zu beheben versucht wird. Allerdings zeigt auch diese Maßnahme keine Wirkung, so dass sich der Rettungsdienst zu einer zügigen Zuführung ins Krankenhaus entschließt. Weitere Maßnahmen werden zumindest vor Ort nicht durchgeführt. Beim Umlagern kollabiert der Patient erneut und macht einen zunehmend abwesenden Eindruck.
WEITERER VERLAUF:
Bei Eintreffen im Krankenhaus wird eine Routine-Blutuntersuchung durchgeführt. Diese zeigt einen massiv erhöhten BZ-Wert. Der Patient wird zur weiteren Abklärung bei Verdacht auf Diabetes-Erstmanifestation stationär aufgenommen und weiterführenden Untersuchungen zugeführt. Eine Bestimmung des Blutzucker-Wertes erfolgte weder durch die Schule noch durch den Rettungsdienst, obwohl diese gerätevorhaltungstechnisch möglich gewesen wäre.
DISKUSSION:
An dieser Stelle weise ich nochmals auf die Wichtigkeit einer Blutzuckermessung auch im präklinischen Bereich hin. Der Rettungsassistent hatte hierauf verzichtet, um nicht durch möglicherweise unnötige invasive Maßnahmen "negativ aufzufallen" (an der Schule wurde ein Konzeptvorschlag zum Aufbau eines SSDs eingereicht, über den zurzeit beschieden wird). Auch wenn hieraus (meist) keine therapeutische Konsequenz für den SSD erfolgt, können ggf. erstmalig auftretene Entgleisungen als solche erkannt und in die Erhebung einer Verdachtsdiagnose einbezogen werden.
Alle Symptome passten sowohl zum ACS als auch zur (erstmalig aufgetretenen) Hyperglykämie.
Gute weiterführende Informationen zur Hyperglykämie erhält man auch hier:
http://www.medizinfo.de/diabetes/krankheitsbild/hyperglykaemie_ketoazidose.shtml
Diabetische Entgleisungen können auch im Bereich von Berufsschulen auftreten (und treten bei uns auch ca. einmal im Jahr auf). Daher sollten Sie stets mit in die Auswahl der Verdachtsdiagnose einbezogen werden. Eine Blutzuckermessung sollte zu den Routinemaßnahmen gehören, sofern das SSD-Personal entsprechend geschult ist.
Edit: a.) Rechtschreibung
b). beim durch die Klinik bestimmten BZ-Wert habe ich jetzt unterschiedliche Werte gehört. Es ist aber in meinen Augen unerheblich, ob der BZ-Wert bei über 600 oder bei über 1000 mg/dl lag. Auf jeden Fall war er massiv erhöht und Ursache für die Beschwerden.
Zuletzt geändert von Hajo Behrendt am 02.01.2014, 19:15, insgesamt 1-mal geändert.
35 Jahre, Im-RTW-beim-Patienten-Sitzer, hauptamtlicher "Zivi"-in-den-Hintern-Treter, ehrenamtl. Löschknecht, Obermufti von einigen SSDs -- im schönsten Bundesland der Welt: Schleswig-Holstein!