Indikation NA zur Analgesie

Hier könnt ihr erlebte Einsätze schildern und sie können von uns gemeinsam besprochen werden.

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10.05.2016, 10:53
Choleos hat geschrieben:Selbst wenn Schmerzen den Patienten nicht unmittelbar umbringen, so sind sie doch das unmittelbar unangenehmste.
Paracetamol mag unterschätzt sein, aber schlägst du jetzt Paracetamol als Analgetikum vor nachdem dir vorher 15-20 Minuten bis zum Wirkmaximum bei Morphin zuviel waren?

Was mir schnell genug geht oder nicht habe ich noch nicht gesagt. Nur kann ich nicht argumentieren, dass mir 8 Minuten Wartezeit auf einen Notarzt zu lang sind, wenn ich dann ein Medikament geben will, das einen sehr langsamen Wirkungseintritt hat. Das ist in sich inhaltlich unlogisch um nicht zu sagen polemisch. Ich kann gerne sagen: "OK, sorry - aber schneller als 10 Minuten geht es halt nicht." Dann muss ich aber auch in Bezug auf den Notarzt anders argumentieren. Ehrlich wäre zu sagen, dass man den eigenen Berufstand aufwerten und sinnlose Notarzteinsätze verhindern will. Das ist doch ok. Aber das kann man offen diskutieren statt zu versuchen, in den Medien auf die Tränendrüse zu drücken.

Choleos hat geschrieben:Bei uns in München sind beim BRK SOPs im Umlauf die Novalgin(+Buscopan) und Dormicum+Ketanest beinhalten, mein Eindruck bleibt jedoch dass es sich dabei eher Special Operating Procedures handelt - es kommt wieder auf Kreisklasse vs. Bundesliga raus. Wenige die sicher sind und sich trauen und der Rest, gleiches Bild bei allen anderen Organisationen und Firmen. Die anderen Organisationen arbeiten soweit ich weiß ohne strenge SOPs, mit den gleichen Medikamenten.

Naja - der Sinn von SOPs ist ja, dass sie eben dann auch eingehalten werden sollen. D.h. wenn ich einen Patienten mit starken Schmerzen habe, dann wird die Analgesie nach SOP durchgeführt. Da gibt es dann keine Diskussionen mehr und auch kein "trauen".

Choleos hat geschrieben:Entwicklung bzw. Einführung von einfacheren und sicherern Möglichkeiten sollte jeder offen gegenüber stehen.
Haben viele Rettungsmittel nicht genug Handwerkszeug für ordentliche Analgesie? Fehlt es nicht eher an der Schulung und Ausbildung und an Rechtssicherheit für die Kollegen um den Weg zu ebnen?

Ganz ehrlich? Das ist eine hervorragende Frage! Wenn man will, könnte man dieses Thema tatsächlich durch SOPs anwender- und patientensicher regeln. Warum sich so viele sträuben ist mir völlig unklar. Die unangenehmste Situation dabei hätte aber der ÄLRD, der im Zweifelsfall für die SOPs seinen Kopf hinhalten muss. Er muss sich 110% sicher sein, dass er eine Regel aufstellt, die funktioniert aber nicht schiefläuft. Und, wie schon oben ausreichend dargestellt, eine Rechtssicherheit wird man mit diesem verunglückten NotSanG ohnehin nicht bekommen. Wenn der Gesetzgeber hierzu die Eier gehabt hätte, stünde im Gesetz ganz klar drin, was der NotSan darf und was nicht.

Übrigens würde meine SOP auf der Kombination von Morphin und Ketamin basieren. ;)
10.05.2016, 13:04
Keine Frage die Gabe von langsam anflutenden Medikamenten ist schwieriger zu verkaufen. Zumal der NA trotz längerer Anfahrt evtl. dann durch das schneller wirksame Medikament doch wieder schneller ist...

Was nur zeigt dass Morphin nicht das nonplusultra der Analgetika ist. Ich denke dass die Debatte um Morphin nur den Startschuss bedeutet, es ist quasi der Klassiker unter den BtM. Sollte Morphin möglich werden ist die erstmal Tür offen, dann gehts raus aus den Kinderschuhen, so wie sich auch die Anästhesie immer weiter entwickelt hat. Eine Öffnung der BtM-Sparte soll auch nicht die bisher verfügbaren Analgetika ablösen, die alle ihre Einsatzgebiete haben, sondern lediglich die verbleibende Lücke füllen. Ziel sollte aber meiner Meinung nach bleiben möglichst kaum intubationswürdige Szenarien zu verursachen und deshalb muss die Handhabe in SOP oder andere Möglichkeiten zur Beschränkung eingebettet werden.

Die Umsetzung von SOPs ist traurig und wird an Jahrzehnten von Angstmache liegen.

Gesucht wäre ja ein Allrounder (Trauma/Verbrennung, Organische und chronische Schmerzen, notfalls Intubationseinleitung), gut steuerbar, wenig atemdepressiv, möglichst antagonisierbar, schnell anflutend - weiter als wo wir schon sind kommt man ohne BtM nicht mehr. Wie verbreitet ist bei euch Piritramid?

Ketamin mit schnellem Wirkeintritt und Morphin zur Aufrechterhaltung? Oder diese beiden Analgetika als Basis für alle möglichen SOP?
10.05.2016, 17:27
Choleos hat geschrieben:Keine Frage die Gabe von langsam anflutenden Medikamenten ist schwieriger zu verkaufen. Zumal der NA trotz längerer Anfahrt evtl. dann durch das schneller wirksame Medikament doch wieder schneller ist...

Exakt.

Ziel sollte aber meiner Meinung nach bleiben möglichst kaum intubationswürdige Szenarien zu verursachen und deshalb muss die Handhabe in SOP oder andere Möglichkeiten zur Beschränkung eingebettet werden.

Warum sollte es intubationswürdige Szenarien geben?

Die Umsetzung von SOPs ist traurig und wird an Jahrzehnten von Angstmache liegen.

Verstehe ich nicht. Es ist die Aufgabe des ÄLRD, die Einhaltung von SOPs zu überprüfen und Non-Compliance ggf. zu ahnden. Mit Rechten kommen auch Pflichten.

Gesucht wäre ja ein Allrounder (Trauma/Verbrennung, Organische und chronische Schmerzen, notfalls Intubationseinleitung), gut steuerbar, wenig atemdepressiv, möglichst antagonisierbar, schnell anflutend - weiter als wo wir schon sind kommt man ohne BtM nicht mehr.

Warum willst Du eins für alles haben? Medikamente sind wie ein Orchester und manchmal willst Du mehr Streicher und manchmal mehr Bässe haben. Eins für alles wird immer nur ein fauler Kompromiss sein. WENN man sich aber in der Tat für ein Analgetikum entscheiden müsste, das nahezu optimale Bedingungen bietet, dann wäre es in der Tat S-Ketamin: Sehr gute analgetische Wirkung, sehr breites Wirkungsspektrum, keine Atemdepression, schneller Wirkungseintritt.
Aber es gibt eben auch einen Haufen Probleme damit und die fangen damit an, dass die Notwendigkeit zur Sedierung des Patienten total überschätzt wird. Außerdem ist die Dissoziation des Patienten etwas, mit dem man erst einmal umgehen muss. Das heisst, dass die Wirkung eher unterschätzt wird, weil die Augen des Patienten noch offen sind.

(Off-Topic und GANZ abgehoben: Ein Effekt, der bei Dexmedetomidin noch ausgeprägter ist. Hier sieht man dem Patienten die Sedierung noch weniger an.)

Bei den Opiaten gibt es nur minimale Unterschiede bezüglich der Atemdepression und es wird auch nie relevante geben, da Atemdepression und Analgesie über den gleichen Rezeptor gesteuert werden. Daher ist die Atemdepression bei äquianalgetischen Dosen auch gleich. Aber das Opiat gibt mir zwei entscheidende Vorteile bzw. Exitstrategien:

1. Was bedeutet denn "Atemdepression" beim Opiat? Das bedeutet, dass das Bedürfnis des Patienten, zu atmen, wegfällt. Ganz interessant. Weil ich keinen Alkohol trinke und auch sonst nichts "konsumiere", stelle ich diesen Effekt schon fest, wenn ich mal Kodein-Tropfen nehmen muss. Dann liege ich im Bett und denke mir "Cool, Du musst nicht mehr atmen". So ist das auch bei einer Opiatintoxikation. Da liegen die Patienten mit offenen Augen blitzeblau im Bett mit einer Sättigung von 50% und atmen eben nicht. Was ist jetzt die einfachste Lösung ? Genau - Atemkommandos. "Holen Sie mal tief Luft" und schon ist wieder gut. (Disclaimer: Geht irgendwann nicht mehr, wenn die Patienten von der Hypoxie schon zu bewußtlos sind oder andere Gründe haben, bewußtlos zu sein.)

2. Sollte 1. versagen, weil mein Patient schon zu lange hypoxisch ist o.ä., dann kann ich immer noch das Opiat antagonisieren.

Bis zu einer "intubationswürdigen Situation" ist es also noch extrem weit hin, wenn man sich etwas auskennt, den Patienten gut beobachtet und das, was man sieht, zu würdigen weiß.

Wie verbreitet ist bei euch Piritramid?

Gar nicht, weil bei uns nur Anästhesisten als Notärzte eingesetzt werden. ;)
Piritramid hat im Vergleich zu Morphin weder Vor- noch Nachteile. Man muss nur beachten, dass die Wirkstärke von Piritramid etwas geringer ist. Die Pharmakokinetik ist aber nahezu identisch zu Morphin.

Ketamin mit schnellem Wirkeintritt und Morphin zur Aufrechterhaltung? Oder diese beiden Analgetika als Basis für alle möglichen SOP?
Morphin zur Basisanalgesie und Ketamin zur Behandlung von Schmerzspitzen (etwa bei der Lagerung oder Reposition von Frakturen). Der Witz dabei ist aber, dass ich durch die Kombination mit Morphin nur so wenig Ketamin benötige, dass ich wiederum kein zusätzliches Midazolam geben muss, weil das Bewusstsein des Patienten erhalten bleibt und ich somit keine große psychotrope Wirkung habe. Ob man damit nun alles behandeln kann/muss müsste man diskutieren. Aber eine SOP so zu gestalten, dass es auch noch unterschiedliche Konzepte für unterschiedliche Schmerzformen gibt, wäre doch ein wenig zu viel des Guten.
10.05.2016, 18:45
Ich stelle die reine Basisanalgesie in den Vordergrund. Möglichst keine Patienten deren Schutzreflexe oder Atemantrieb wir durch unser eben gegebenes Medikament ausschalten - möglichst keine wie auch immer zu sichernden Atemwege. Ich sehe deshalb auch Kurznarkosen für Reposition oder Umlagern nicht als Aufgabengebiet für das SOP.
Genau in diesem Bereich der Atemanweisungen bzw. noch davor soll sich das ganze möglichst bewegen.

Das mit nur S-Ketamin und Dormicum oft übers Ziel hinausgeschossen wird mag teils an den unerfahrenen Anwendern liegen, wobei auch nicht jeder NA erfahren oder Anästhesist ist ;), aber eben vielleicht auch am Cocktail, zwei Komponenten. Du wählst es ja auch genau nur für die Schmerzspitzen.

Wir hatten hier im Juni 2012 zwischenzeitlich mal vom ÄLRD sämtliche Medikamente verboten bekommen, auch mit folgender Begründung:„[dem ÄLRD München liegt] derzeit noch kein strukturiertes, validiertes und vor allem organisationsübergreifendes Konzept zur Medikamentengabe durch Rettungsdienstpersonal vor“
Tut es bis heute nicht, viele Organisationen fahren mit umfangereichem Ampullarium auf dem Auto und organisations- bzw. wacheigenen Medikamentenprüfungen, eine große private Firma fährt nur mit den 5 von der BÄK "Notkompetenz" benannten Medikamenten, übrigens kein Analgetikum weil nicht spezifiziert.
Beim BRK hat jeder RA sein eigenes Ampullarium, nachdem er eine Medikamentenprüfung abgelegt hat.
Unser ÄLRD schein nur abzunicken, dass jeder sein eigens Süppchen kocht, erwartet, dass die ihm geschlossen ein Konzept vorlegen, was wie gesagt seit Jahren nicht der Fall ist.

Aber eine SOP so zu gestalten, dass es auch noch unterschiedliche Konzepte für unterschiedliche Schmerzformen gibt, wäre doch ein wenig zu viel des Guten.

Für Bauchweh/Koliken - Novalgin + Buscopan
Für Trauma/Verbrennung - S-Ketamin + Dormicum
Für ACS - ASS 300 p.o.
Für Apoplexverdacht mit Fieber - Perfalgan 1g
Zugegeben die letzten beiden dienen in dieser Anwendung nicht als Analgetika, habe sie aber trotzdem mal aufgenommen...
Zumal man über diese SOP doch sehr streiten kann wo z.B. Nitro für das ACS ohne vorherige EKG Kontrolle gegeben wird.

Hmmm bei uns hat Piritramid sowohl bei NA als auch Anästhesisten innerklinisch einen guten Ruf.. Lustig wie das auseinander geht :)
10.05.2016, 19:54
Choleos hat geschrieben:Hmmm bei uns hat Piritramid sowohl bei NA als auch Anästhesisten innerklinisch einen guten Ruf.. Lustig wie das auseinander geht :)

Klang vielleicht etwas zu negativ. Ich sage nicht, dass Piritramid schlecht ist. Es ist unser Standard im OP. Es macht nur überhaupt keinen Unterschied, ob Du Morphin oder Piritramid gibst. Es ist einfach komplett egal.
10.05.2016, 20:16
Haha okay, verstehe einfach kein Spaß mehr dran :D

Ich frage nur weil zumindest in angloamerikanischer Richtung ist Dipidolor ja eher unbedeutend.
25.06.2016, 13:37
Um auf die Frage zurück zu kommen: Wenn die Rettungsmittel entsprechend verfügbar sind, ist die Indikationsstellung IMHO relativ einfach: Man erklärt dem Patienten kurz dass dann ein Notarzt zur Schmerzbekämpfung kommt und fragt ob er die Schmerzen bis in die Klinik aushalten könne. Wenn er sie nicht aushalten kann, dann braucht er eine Analgesie.
Das diese Simplizität natürlich situationsabhängig ist, ist mir klar, nur der Grundsatz ist erkennbar.

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