Lästige Insekten [San]

Notfallszenarien für Ersthelfer bis Rettungsdienstmitarbeiter.

Foren-Übersicht Erste Hilfe, Rettung und Medizin Fallbeispiele

29.05.2011, 23:21
Also zuerst mal zu der Sache mit der Unfallversicherung:
Eine allergische/anaphylaktische Reaktion ist per se keinesfalls durch den Unfallversicherungsträger zu übernehmen, da es sich per se um eine internistische Erkrankung außerhalb der Gruppe der Berufserkrankungen handelt. (Aussnahmen sind nur bei sehr wenigen, sehr eng definierten Fällen, z.B. einer Kontaktdermatitis -diese fällt dann doch in die Gruppe der Berufserkrankungen- oder bei Verstößen gegen MAK-Schadstoffkonzentrationen möglich).
Wie gesagt, es ist weder die Tatsache, dass die Schule der Erkrankungsort ist maßgeblich, noch ist die Tatsache, dass der Schulbesuch ursächlich ist, ist maßgeblich.
(vergl. hierzu diesen Fall: http://www.merkur-online.de/lokales/moosburg/nach-sportunterricht-kinder-uebelkeit-klinik-eingeliefert-mm-1259765.html Hier ist keineswegs die GUV als Unfallversicherungsträger Kostenträger).

Nun aber zum medizinischen Teil:
Eine Beinträchtigung der Atmung in Folge einer Anaphylaxie/allergischen Reaktion erfordert grundgehend eine zügige Alarmierung des Rettungsdienstes, noch dazu wenn es zu Schwellungen im Bereich des Mund/Rachenraumes kommt. Hierbei ist bereits beim ersten Symptomeintritt der Notruf zu tätigen, da es nicht möglich ist aufgrund der "Erstsymptome" den weiteren Verlauf und die Geschwindigkeit der Progredienz (also des Fortschreitens) zu ermitteln.
Soll heißen: Bereits ein leichtes "Bizzeln" auf der Zunge kann ggf. ein Indiz für eine beginnende ausgeprägte Anaphylaxie sein.
Selbst für den Fachmann ist es nicht möglich, dass in diesem Moment richtig einzuschätzen....Man steht schneller mit einem reanimationspflichtigen Patienten dar als einem lieb ist.... (dazu später mehr)

Im konkreten Fallbeispiel gab es drei Gründe den Rettungsdienst zu verständigen:
- die ausgeprägte und akut aufgetretene Schwellung des Armes (von den Schmerzen ganz abgesehen)
- das gefühlte Anschwellen der Lippen/die Schwellung im Mundraum
- die beginnende Atemnot.
Von daher ist hier leider eine klare Fehlbewertung vorgenommen worden...

Was übrigens das "Informationen sammeln" und den Patienten "mit einer Flut von Fragen beruhigen" angeht: Kenne ich, halte ich aber nicht viel von.
Der Patient hat in der Stresssituation eh schon genug um die Ohren und die Tatsache, dass er jetzt ggf. auch noch jede Menge "nebensächlicher" Informationen abrufen muss und dabei auch noch extrem viel reden muss. Beruhigend wirkt das keines Falls, viele patienten berichten davon das sie davon eher aufgeschreckt wurden, weil einfach Hektik in die Situation rein kommt...
Ich persönlich habe eher das Gefühl, dass damit gerne mal "die Helfer" beruhigt werden sollen, frei nach dem Mott: Solange ich noch was zu fragen habe tue ich noch was für den Patienten und muss mir nicht eingestehen, dass ich eigentlich nicht mehr weiter weiß...


Um zum Schluss noch mal auf das "wie schnell das gehen kann" noch ein kleiner Case-Report von letzter Woche (zu beachten das ich in .ch arbeite und die Strukturen dort etwas anders sind):
Patientin 44 Jahre alt, weiblich, in einer Arztpraxis ein Lokalanästhetikum subcutan gespritzt bekommen (quaddeln). Nach dem ersten Stich bereit deutliche Hautreaktion.
Der Hausarzt bricht die Behandlung umgehend ab, gibt der Patientin oral ein Corticoid und legt sie monitorisiert in den Behandlungsraum zum "abwarten was passiert.
Nach ca. 15 Minuten in denen die Symptome tlw. fast völlig zurück gingen beginnt schlagartig eine deutlichere Hautreaktion mit Urikaria im gesamten Rückenbereich, den Oberschenkeln und dem Gesicht/Halsbereich. Jetzt erfolgt der Ambulanzruf.Der Hausarzt gibt währenddessen Sauerstoff und legt einen (leider nur rosanen) Zugang.
Aufgrund guter Lokalisation (wir haben hier tlw. Anfahrten von 25Min) trifft diese bereits nach knapp 5 Minuten ein.
Das Team findet eine somolent Patientin mit deutlicher Hautreaktion, ausgeprägter Cyanose, instabilem Kreislauf (RR70/40 im NIBD), einer Frequenz von 110 und einer Sättigung von 75% vor....
Neben den Basismaßnahmen(O2, großer Zugang, usw.) erfolgt eine medikamentöse Intervention mit "der großen anaphylaktischen Runde" (Epinephrin,H1+H2 Blocker und hochdosierten Glucocorticoid).
Die Patientin verschlechter sich jedoch weiter (mittlerweile nicht mehr messbare Sättigung, peripher kein Druck mehr, bewusstlos), es erfolgen weitere Epinephringabe, ebenso die Aufbietung der Fachkraft für Anästhesie (unser NA Equivalent)die Patientin wird zunehmend arrhythmisch (Bradyarrhythmie), die Atemwege sind mittlerweile fast vollständig verlegt, eine Intubation erscheint fast nicht mehr möglich.
Trotz recht hoher Epinephrindosen wird die Patientin schließlich reanimationpflichtig(VF), kommt jedoch nach dem ersten Zyklus HLW bzw. ersten Schock wieder (ROSC), jetzt mit "besserem" Druck und minimaler Symptombesserung. Ein Atemweg besteht jedoch immer noch nicht, die Vorbereitungen für eine Koniopunktion laufen, bevor diese aber durchgeführt wird geht der Atemweg wenigstens "halbwegs" wieder auf, eine "behelfsmäßige" Beatmung wird möglich.
Im Verlauf wird die Patientin später nochmal reanimationspflichtig, der mittlerweile eingetroffene Anästhesiepflegefachmann entscheidet sich dann zu einer konventionellen offenen Koniotomie. Letzenendes wird die Patientin mit ROSC jedoch schlechtem Druck trotz hochdosierter Katecholamine von der REGA in ein Zentrumsspital verflogen.
Dort wird die Patientin am zweiten Tag extubiert, der weitere Verlauf ist unbekannt.

Sicherlich ein Worst Case..Aber er begann symptommäßig weit weniger ausgeprägt wie das hier genannte Fallbeispiel.

30.05.2011, 13:40
Dasdie Einschätzung falsch war ist ja mittlerweile klar, ich denke, das wurde oft genug erwähnt^^

Was übrigens das "Informationen sammeln" und den Patienten "mit einer Flut von Fragen beruhigen" angeht: Kenne ich, halte ich aber nicht viel von.
Der Patient hat in der Stresssituation eh schon genug um die Ohren und die Tatsache, dass er jetzt ggf. auch noch jede Menge "nebensächlicher" Informationen abrufen muss und dabei auch noch extrem viel reden muss. Beruhigend wirkt
das keines Falls, viele patienten berichten davon das sie davon eher aufgeschreckt wurden, weil einfach Hektik in die Situation rein kommt...

Das hängt aber sehr stark davon ab, wie du das machst. War hier mangels Antwort des Patienten vielleicht etwas schlecht dargestellt. Der Sinn hinter den Fragen ist nicht unbedingt das Fragen sondern eher das Zustandebringen eines Gesprächs. Die Informationssammlung ist nur für die Kernfragen wichtig, der Rest wird wie geschrieben je nach Situation abgewandelt.
Richtig gemacht bringt das meiner persönlichen Erfahrung nach unabhängig von der Art der Verletzung sehr viel, weil der Patient mit seinen Schmerzen/ Unwohlsein/ ... nicht allein gelassen wird. Er muss also nicht einfach nur zusehen, während irgendjemand an ihm herumwerkelt, sondern hat etwas um sich abzulenken. Geht natürlich nur, wenn dem Patienten daraus kein Nachteil entsteht. Wenn es also wichtige Sachen zu bereden gibt haben die Vorrang. Auch wenn dieser Ruhe braucht oder Atembeschwerden - in diesem Fallbeispiel haben sie sich für mcih als nicht relevant dargestellt, dass das eine Fehleinschätzung war sagte ich bereits - wird natürlich nicht gelabert.
"Die Wellen einer Pfütze erzeugen keine Brandung."

31.05.2011, 14:25
Das ist aber eine "trügerische" Erfahrung. Der Patient fühlt sich grade durch die "Fragerei" oft noch viel mehr alleine gelassen, da in diesem Moment ja der Sanitäter sich ausschließlich mit dem Symptomen bzw. den sinnlosen Fragen beschäftigt und nicht mit der Person an sich. Ein Gesprächsaufbau sollte und muss eigentlich anders erfolgen.

31.05.2011, 19:20
Original von Bartsches
Richtig gemacht bringt das meiner persönlichen Erfahrung nach unabhängig von der Art der Verletzung sehr viel, weil der Patient mit seinen Schmerzen/ Unwohlsein/ ... nicht allein gelassen wird. Er muss also nicht einfach nur zusehen, während irgendjemand an ihm herumwerkelt, sondern hat etwas um sich abzulenken.


Da ist es meiner Meinung und Erfahrung nach sinnvoller, dem Patienten genau zu erklären, was du grade machst und warum. Damit hast du genug zu tun, und der Patient muss nicht immer wieder seine Kräfte zusammennehmen um immer wieder die gleichen Fragen zu beantworten...

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