Wie du richtig vermutest, liegt in diesem Fall ein psychiatrisches Krankheitsbild zugrunde, wo der Gesprächskontakt zumindest nicht unwichtig ist. Deshalb wollte ich mit der wörtlichen Rede prüfen, ob überhaupt eine Kommunikation zwischen dir und dem Patienten stattfindet.
Was die organischen Verdachtsdiagnosen angeht:
Drogenintox: gehört zu den wichtigen Differentialdiagnosen.
Schlaganfall: ebenfalls, aber schon seltener beim beschriebenen Untersuchungsbefund/der Sypmtomatik.
Hypoglykämie: prinzipiell denkbar, aber eher unwahrscheinlich, weil der Patient noch längere Zeit steht und auch keine sonstigen Symptome erkennbar sind.
Hypertonie: eher unwahrscheinlich. Wie erklärst du damit die fehlende Reaktion auf Ansprache? Dafür bräuchte man dann schon den Insult.
Demenz: An sich nicht schlecht. Prinzipiell kann man jeden Verlust erlernter kognitiver Funktion als "Demenz" bezeichnen. Aber: 1. Lehrer zu jung. 2. Demenzen sind üblicherweise schleichende Prozesse, die nicht binnen kurzer Zeit (ca 3-4 Stunden) "explodieren". 3. würde die Symptomatik ein weit fortgeschrittenes demenzielles Syndrom verlangen. Die Wahrscheinlichkeit, dass er zu diesem Zeitpunkt noch arbeiten würde, ist sehr gering.
Manie: Kann zwar prinzipiell auch mit psychotischen Symptomen einhergehen, die Patienten stehen dann aber überaus selten ganz starr und gesprächsarm im Raum. Sind eher antriebsgesteigert, euphorisch, eventuell gereizt, redebeschleunigt, denkbeschleunigt, im Gedankengang unter Umständen unzusammenhängend, haben Größenideen... etc...
Zum Notarzt: Den hast du nicht angefordert. Das stimmt. Der Disponent wollte sich bloß freundlich zeigen und dir sagen, was er dir schickt. Da, wie du schon richtig erkannt hast, einige der Differentialdiagnosen möglich gewesen wären und diese Notarztindikationen sind, hat sich der Disponent in dem Fall für die "Nummer Sicher" entschieden. Sicherlich ein Diskussionspunkt. (->Don?)
Zur Manöverkritik meinerseits:
Ich hätte mir von Anfang an mehr (Gesprächs)kontakt zum Patienten gewünscht. Auch, wenn dieser nicht reagiert hat, ist es doch wichtig, im Kontakt zu bleiben und ihm zu erklären, was man macht, da dieser in der Situation wach war und unter Umständen alles, was passiert, mitbekommt. Von daher hätte ich mir gewünscht, dass du ihm erklärst, dass du ihm helfen willst, dass alles in Ordnung ist, weiter ganz ruhig versuchst zu fragen, was ihm denn fehlt und so weiter und ihn darüber aufklärst, wenn du Maßnahmen (RR-Messen etc) an ihm durchführen möchtest.
Ich hatte irgendwie das Gefühl, dass du mit Kerstin und ihrer Rolle anfangs nicht umgehen konntest. Gerade bei psychischen Erkrankungen ist eine Fremdanamnese von großer Bedeutung, vor allem dann, wenn die Patienten dir selbst keine Auskunft geben. Da Kerstin eine Kollegin von Herrn Mayer ist, hättest du auf ihre Hinweise, dass der bereits vor der ersten Stunde schon "so komisch" war, eingehen können. Solche Punkte wären eventuell im Verlauf der Weiterbehandlung des Patienten interessant. Gleichzeitig hättest du dabei die doch recht nervöse Lehrerin etwas beschäftigt und sie im Gespräch etwas beruhigen können, was wiederrum die Reizüberflutung für den Patienten gehemmt hätte.
Der Notruf kam rechtzeitig. Vorsicht aber bei der Verwendung von Fachbegriffen und Verdachtsdiagnosen (-> die Manie, die du auf Rückfrage des Disponenten geäußert hast) - diese bitte nur verwenden, wenn du dir ganz sicher bist. Sonst gilt: Lieber stur die Symptome bzw. die Situation beschreiben und den Disponenten entscheiden lassen, was er daraus macht.
Die Übergabe war ok. Hier hätten halt nur noch die Infos, die Kerstin dir in ihren Kommentaren übermittelt hat, ergänzt werden sollen. Sprich dass der Patient Angst hat, glaubt, dass irgendwer überall ist und dass alle sterben werden. Das hilft den weiterbehandelnden Ärzten möglicherweise bei der Einordnung der Erkrankung.
Alle Klarheiten beseitigt?
Edit: Danke an Kerstin, für ihre spontane Bereitschaft, die Rolle der Lehrerin zu übernehmen und an die Person, die mich fachlich für den Fall beraten hat. Dass ich mir das mit meinem Sanwissen nicht alleine ausgedacht habe, liegt vermutlich eh auf der Hand