Mhh, das ist ein durchaus komplexes Thema. Zumal gerade psychische Erkrankungen oft mit Comorbitäten verschiedenster Art einher gehen könne. Das macht es selbst für erfahrene Fachärzte teilweise schwer zu erkennen wo genau der Schuh drückt. Insofern sollte man sich als SSD, aber auch als RD, eher zurückhalten mit Diagnosestellungen. Eine vermeindliche Anorexia nervosa (grob: Abnehmen für das Selbstwertgefühl) kann tatsächlich eine Boarderlineerkrankung mit schweren depressiven Episoden, diversen Zwangsstörungen und selbstschädigendem Verhalten durch Hungern und Sport (grob: Abnehmen als Strafe für sich selbst) sein. Das macht dann schon einen großen Unterschied, obwohl die Person für uns erstmal einfach nur abgemagert sein wird. Aber wir haben auch nicht die Zeit uns lange damit zu beschäftigen. Insbesondere sollte man tunlichst die Finger davon lassen den Patienten auch ansatzweise zu therapieren (in psych Hinsicht). Dafür sind wir alle nicht ausgebildet und wenn man dran denkt, dass diese Personen nicht selten mehrere Monate stationär und später über Jahre hinweg ambulant in Therapie sind, dann sollte auch klar sein, dass wir da keinen Einfluss haben können - zumindest keinen guten. Ich hatte einmal das Erlebnis unbewusst einen Trigger bei einem psychisch erkrankten Patienten zu treffen im Rettungsdienst. Einmal eine Bemerkung zum Kollegen und schon wars zu spät. Es war eine alltägliche, humoristische, typisch kollegiale Bemerkung - leider nicht für den Patienten. Ergebnis war, dass wir uns nen NA nachbestellen mussten und schließlich die Polizei, weil der Patient (eigentlich sollte er wegen unklarer Synkope ins KH) sich plötzlich in einer akuten Epiisode befand.
Was ich letztlich damit sagen will: Solche Patienten gibt es, aber selten zeigen sie uns ihr wahres Gesicht. Zudem ist es ein extrem komplexes Feld. Es ist gut wenn man sich da etwas informiert und Gedanken macht, sowohl als SSD als auch als RD, aber letztlich sollte man es dann den Fachärzten und Psychologen überlassen.
Mein Tipp im Umgang mit solchen Patienten: Es ist deutlich einfacher sich auf die Patienten und ihre Krankheit einzulassen, als sie davon zu überzeugen, dass was sie sagen falsch ist. Einen Patienten mit Wahnvorstellungen (überall ist eine gefährliche Strahlung, er ist nur im Haus sicher) davon zu überzeugen, dass er im Unrecht ist dauert; und zwar lange! Seeeehr lange. Vermutlich würdet man es nach mehreren Stunden sein lassen und den Pat. mit Gewallt einweisen oder aber ihn daheim lassen. Wenn ich aber auf den Patienten zugehe und ihm sage, dass ich seien Angst verstehe und wir deshalb vorgesorgt haben gegen die Strahlung (Spezial-RTW und Strahlenschutzdecken [Rettungsdecke]), dann habe ich durchaus gute Chancen meinen Job zu machen.
Gleiches gilt für alle anderen psych. Krankheitsbilder. Wir müssen den Patienten nicht überzeugen, dass wir Recht und er Unrecht hat (machen dann Fachärzte und Psychologen), sondern wir müssen ihn nur soweit bekommen, dass er macht was wir wollen.
Ansonsten sei gesagt, dass Anorexie und SVV selten echte Notfallbilder werden. Bei der Anorexie hat man vielleicht mit einer BZ-Entgleisung zu kämpfen (wobei die sich deren Körper oft daran gewöhnen und sie nicht ständig alle unterzuckert in den Ecken liegen) und bei SVV meistens (!) mit oberflächigen Schnitt, Schürf, Kratz, Beiß und Brandwunden. Da ist es dann auch empfehlenswert, insbesondere als SSD, das eigentliche Notfallbild zu behandeln und nicht irgendwo in der Psyche nach einer Ursache suchen - klappt in den 10min eh nicht. Und das ist denke ich eher der Punkt wo der SSD (und auch RD) auch arbeitet: Folgen von psych. Erkrankungen, und weniger die psych. Erkrankung selbst.
In diesem Sinne wünsch ich euch allen eine entspannte und einsatzfreie Woche.
[Sie hörten: Das Wort zum Montag]
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Alex
"Wer für alles offen ist, kann nicht ganz dicht sein!"