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Hier könnt ihr erlebte Einsätze schildern und sie können von uns gemeinsam besprochen werden.
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Schmerzen in der Schulter

02.06.2010, 12:14

Alarmierung

Der Schulsanitätsdienst einer beruflichen Schule wird am 01. 04. 2009 um 12.15 Uhr durch das Schulbüro per Alarmhandy alarmiert. Gemeldet ist eine Person mit Kreislaufproblemen und starken Schmerzen in der Schulter, die auf dem Flur vor dem Geschäftszimmer sitzen soll.

Das diensthabende Team besteht an diesem Tag aus einem Rettungsassistenten und einem Sanitäter im Einsatzdienst. Der Einsatzort wird um 12.18 Uhr erreicht.

Bei dem männlichen Patienten handelt es sich um eine 1946 geborene Lehrkraft.

Zur Sicherstellung der Privatsphäre wird der Patient vorsichtig, langsam und gestützt in den in unmittelbarer Nahe befindlichen Hauptsanitätsraum verbracht.

Medizinische Versorgung

Bei der Erstbefragung schildert der Patient, heute nacht gegen 2.30 Uhr mit starken Schmerzen in der linken Schulter aufgewacht zu sein. Der Patient hat seit Jahren orthopädische Probleme mit der besagten Schulter, die ihm oft starke Schmerzen bereiten. Auf Nachfrage nach Veränderungen gab der Patient an, dieses Mal allerdings auch "schweißgebadet" gewesen zu sein. Da er in über 40 Dienstjahren jedoch keinen einzigen Fehltag hatte, habe er sich entschlosen, trotz der Probleme den Unterricht heute morgen aufgenommen zu haben. Er sei schließlich kein "Weichei".

Der Patient wird in Oberkörper-Hochlage auf der Liege gelagert. Eine initiale Blutdruckmessung ergibt einen Wert von 125 / 75 mmHg. Der Puls liegt bei 82 bpm, ist rhythmisch und gut tastbar. Die Atmenfrequenz ist im Normbereich; GCS-Score 15 Punkte. Eine Pulsoximetrie stand zum damaligen Zeitpunkt noch nicht zur Verfügung.

Bei der weitergehenden Anamnese durch den Rettungsassistenten äußert der Patient eine Zunahme der Beschwerden im Laufe des Tages. Des weiteren wird nun eine "fehlende Belastbarkeit" angegeben, bei der kleinsten Bewegung würde der Patient in Schweiß ausbrechen. Nun hätte sich außerdem noch eine Dyspnoe ("Atembeklemmung") eingestellt. Die Schmerzen sind nicht atemabhängig.

Das Team bereitet nun aufgrund einer angenommnen kardialen Problematik eine Sauerstoffgabe vor und schließt den Patienten an die oszillometrische Blutdruckmessung an. Diese ergibt einen Blutdruck von 133 / 77. Paralell wird durch die Sanitätskraft eine Reanimationsbereitschaft hergestellt, ein im Geschäftszimmer gelagerter AED (leider ohne EKG-Monitor) wird dezent geholt.

Die Vermutung, dass es sich bei den Symptomen nicht (nur) um ein orthopädisches Problem, sondern auch eine bedrohliche Herzerkrankung handeln kann, wird dem Patienten schonend mitgeteilt. In Bezug auf die Familienanamnese kann in Erfahrung gebracht werden, dass die Mutter bereits in jungen Jahren an einem Herzinfarkt gestorben ist, der Patient ist außerdem starker Kettenraucher.

Das SSD-Team möchte aufgrund des Verdachtes auf ein AKS (Akutes Koronarsyndrom) nun einen RTW mit NEF alarmieren. Dieses wird dem Patienten mitgeteilt.

Der Patient verweigert daraufhin die Alarmierung der Rettungsmittel bzw. das Aufsuchen des Krankenhauses. Er befürchtet, dass "die da bloß etwas finden würden, wenn sie ihn jetzt untersuchen", und er dann pensioniert werden würde.

Trotz Beruhigung und Aufklärung des Patienten über mögliche Folgen lehnt der Patient eine Retungsdienst-Alarmierung nach wie vor ab und wünscht auch keine weiteren diagnostischen Maßnahmen. Statt dessen möchte er den Unterricht am Nachmittag wie geplant aufnehmen.

Nach eindringlicher, nochmaliger Bitte erklärt sich der Lehrer schließlich bereit, sich krankzumelden und "im Laufe des Nachmittages" den Hausarzt aufzusuchen.

Der Patient verlässt die sanitätsdienstliche Versorgung entgegen dem Rat der Sanitätskräfte um 12.38 Uhr, nachdem die Verweigerungserklärung auf dem Notfallprotokoll unterzeichnet wurde. Über den weiteren Verlauf ist leider nichts bekannt. Die Lehrkraft unterrichtet heute wieder.

Diskussion

Der Fall zeigt, dass im Schulbereich durchaus auch mit internistischen Notfällen zu rechnen ist. Diese müssen unbedingt in die Ausbildung mit einbezogen werden.

Die vermutete kardiale Symptomatik wurde durch zusätzlich vorhandene orthopädische Probleme mit der Schulter, gekoppelt mit starken Schmerzzuständen, zunächst überdeckt.

Nur durch ein gezieltes Nachfragen kam man auf den vermutlich richtigen "Riecher". Daher sollten Sanitätskräfte über umfangreiches Hintergrundwissen verfügen und in der Lage sein, eine vernünftige Anamneseerhebung durchzuführen. Ein systemischer Blick über die eigentliche Symtomatik hinaus sollte routinemäßig durchgeführt werden ("Was könnte noch dahinterstecken?")

Das der Patient weitere (rettungsdienstliche) Hilfe nicht annehmen wollte, ist bedauerlich, muss aber aufgrund der Volljährigkeit und des klaren Denkvermögens akzeptiert werden. Nur auf eindringliches Bitten hin war der Patient überhaupt bereit, sich in ärztliche Obhut zu begeben.

Bei Schulangestellten, die die Versorgung am Rande mitbekommen hatten, löste die Verweigerung Unverständnis aus.

Von einer Nachforderung gegen den ausdrücklichen Willen des Patienten wurde auch abgesehen, um das Vertrauensverhältnis zu den Lehrkräften nicht zu belasten und Aufregung für den Patienten zu vermeiden.

Eine Versorgungs- und/oder Transportverweigerung muss immer dokumentiert werden, am besten mit Unterschrift des Patienten oder eines unabhängigen Zeugens.
Die SSD-Einsatzprotokolle sollten über einen solchen Vordruck verfügen.
Zuletzt geändert von Hajo Behrendt am 02.06.2010, 12:24, insgesamt 2-mal geändert.

RE: Schmerzen in der Schulter

02.06.2010, 13:36

Original von Hajo Behrendt
Eine Versorgungs- und/oder Transportverweigerung muss immer dokumentiert werden, am besten mit Unterschrift des Patienten oder eines unabhängigen Zeugens.
Die SSD-Einsatzprotokolle sollten über einen solchen Vordruck verfügen.


Hier wäre aber zu ergänzen, dass der Patient überhaupt nichts unterschreiben muss und dass ein eventuelles Drängen, eine wie auch immer geartete Erklärung zu unterschreiben, juristisch gesehen eine Nötigung darstellt. Besser ist die Anfertigung eines Gedächtnisprotokolls mit Unterschrift der beteiligten Sanis.

02.06.2010, 13:47

Wenn der Patient nicht unterschreiben möchte, würde ich aber dringend empfehlen, einen unabhängigen Zeugen hinzuzuziehen, der nach Angabe seiner Erreichbarkeit mit unterschreibt.

Allein die Unterschriften von beteiligten Einsatzkräften haben keinen so hohen Wert vor Gericht, da es sich hier möglicherweise um eine "Absprache" handeln und das Protokoll "gafakt" sein könnte.

Also: wenn der Patient nicht unterschreiben möchte (was sein Recht ist): Unabhängige Zeugen suchen und möglichst umfangreich dokumentieren, so dass ihr auch nach ein paar Jahren euch den Einsatz wieder in Erinnerung rufen könntet!

02.06.2010, 15:35

Dann könnte man sich gleich jegliche Dokumentation sparen, da diese ja auch grundsätzlich "gefakt sein könnten [!]".
Natürlich ist es besser einen unabhängigen Zeugen hinzuzuziehen - obligat ist es hingegen nicht.

02.06.2010, 17:41

Original von Hajo Behrendt

Allein die Unterschriften von beteiligten Einsatzkräften haben keinen so hohen Wert vor Gericht, da es sich hier möglicherweise um eine "Absprache" handeln und das Protokoll "gafakt" sein könnte.


das ist völliger Blödsinn, sorry. Die zwei am Einsatz beteiligten Sanis sind allemal glaubwürdig falls es tatsächlich mal vor Gericht gehen sollte. Es wäre dann ja auch nicht glaubwürdig, wenn 2 Polizeibeamte in einem Protokoll, Anzeige usw unterschreiben würden, hier könnte man ja auch sagen, daß dies abgesprochen war.
Jedenfalls bei uns in HH ist es so, daß bei einer Ablehnung eines Pat. für einen Transport die Unterschrift der Sanis aussagekräftig ist falls der Pat. seine Unterschrift verweigert. Ich kann euch aber aus eigener Erfahrung sagen, daß dies so gut wie nie vorkommt - denn bei einer sach und fachlichen Aufklärung des Pat. entscheidet er sich zu fast 90% FÜR eine Beförderung ins Krhs. oder er unterschreibt die Verzichtserklärung ;)

03.06.2010, 17:24

1. Ich hätte RTW und NEF denoch alarmiert.
2. Schmerzen in der linken Schulter sprechen eher für eine Milz Beteiligung laut Headschen Zonen, auch wenn ich nciht weis, wie viel Gewicht man denen geben darf.

03.06.2010, 17:37

Also. bei plötzlichen Schmerzen im Schulterbereich tippe ich immer zuerst auf "Herz"...

Eine Beteiligung der Milz war hier wenig wahrscheinlich. Es lag kein traumatisches Ereignis, kein Sturz und keine Vorerkrankung des Organs vor...

Wahrscheinlich waren die Schmerzen chronisch oder herzbedingt, Milz konnte man wohl ausschließen.

Ich würde diesen Zonen nicht allzu viel Bedeutung beimessen.

03.06.2010, 20:08

Original von Hajo Behrendt
Ich würde diesen Zonen nicht allzu viel Bedeutung beimessen.

Wenn Du den Headschen Zonen keine Bedeutung beimisst - warum schließt Du dann von linksseitigen Schulterschmerzen auf ein kardiales Problem? ;)

03.06.2010, 20:10

Weil dies ein klassischer Ausstrahlungsort ist, wie z.B. auch Rücken, Oberbauch, Oberarme oder Unterkiefer.

Wenn da irgendwelche Schmerzen auftreten, werde ich immer hellhörig - im "kardiologischem" Sinne.
Zuletzt geändert von Hajo Behrendt am 03.06.2010, 20:11, insgesamt 1-mal geändert.

03.06.2010, 20:33

Und warum hat man Schmerzen im linken Arm, wenn das Herz (zumindest bei den allermeisten von uns) im Brustkorb und nur ganz, ganz selten im linken Arm liegt?

03.06.2010, 20:46

Haha, sehr witzig... Wie dem oberen Beitrag zu entnehmen ist, spreche ich von SchmerzAUSSTRAHLUNG.

Übrigens: Der Hauptschmerz muss nicht immer retrosternal sein, man denke nur mal an die Polyneuropathie beim Diabetiker etc...

03.06.2010, 21:10

Und warum "strahlt er aus"?
Ansonsten hier nochmal sehr gut erklärt: http://de.wikipedia.org/wiki/Head-Zone#.C3.9Cbertragener_Schmerz

03.06.2010, 21:38

Genau. Aufgrund der Headschen Zonen strahlt der Schmerz in den linken Arm aus. Dass Du diesen keine Bedeutung beimisst, aber dennoch sofort an ein kardiales Geschehen denkst, ist so, wie von einem schwarzen Schimmel zu sprechen. ;)

03.06.2010, 23:08

Original von Hajo Behrendt
Also. bei plötzlichen Schmerzen im Schulterbereich tippe ich immer zuerst auf "Herz"...

Ich würde diesen Zonen nicht allzu viel Bedeutung beimessen.


Gott sei dank wurde kein RD gerufen, der SSD hatte ja alles unter Kontrolle :rolleyes:

31.07.2011, 14:56

Sorry, dass ich das hier nochmal ausgrabe, aber ich habe eine Frage zu dem Aspekt der RD-Alarmierung:

Ich muss zugeben, dass ich wahrscheinlich Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt hätte, damit der RD alarmiert wird, notfalls auch auf eigene Faust.
Ich bin natürlich auf deutlich geringer qualifiziert und unser gesamter SSD besteht, im Vergleich zu dem hier genannten RettAss, aus besseren Ersthelfern.
Wäre denn diese Handlungsweise, nämlich im Zweifel bei solchen potentiell vital bedrohlichen Sachen den RD auch ohne die Zustimmung des Patienten und eventuell auch ohne die des Lehrers/der Kollegen zu alarmieren, so falsch?

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