Jedem ist selbst überlassen wann er die Eskalationsstufen der Reihe nach durchprobiert.
Man kann sich natürlich auch an Leitlinien orientieren - und da deckt sich die Polytrauma-Leitlinie auch ziemlich mit dem, was ich denke
Indikationen für einen sofortigen Gebrauch des Tourniquets können sein [22]:
Extreme Blutungen/multiple Blutungsquellen an einer Extremität mit parallel notwendiger Sicherung der Vitalfunktion
Keine Erreichbarkeit der eigentlichen Verletzung (z. B. eingeklemmte Person)
Massenanfall von Verletzten
Ansonsten bei Versagen der milderen Mittel.Die im EH-Kurs oft angenommene dahergelaufene spritzende Schnittwunde am Unterarm ist mit einem Druckverband sicher gut und schonend versorgt.
Aber das nicht nur durch Ersthelfer, sondern auch durch Rettungsfachpersonal. Bei einer Blutung, die auch problemlos mit einem Druckverband versorgt werden kann und damit gut zu kontrollieren ist (z.B. Schnittverletzung A. Radialis bei Suizidversuch um mal was relativ häufiges zu nennen) ist der Tourniquet fehl am Platz - zum einen erkauft man sich weitere Probleme (z.B. Notwendigkeit der Schmerzbekämpfung, was man sonst nicht in dem Maße hat) und nutzt ein Device, was selbst auch einige Fehlerquellen beinhaltet.
Daher finde ich " In der Auslegung meiner RA-Schule wird eine spritzende Blutung - wenn vorhanden - sofort durch ein Tourniquet gestillt. " schon sehr gewagt, das so absolut zu formulieren
Mit der von dir genannten Erweiterung "Beim Polytrauma will ich eine Blutung möglichst schnell "abdrehen" können" sicherlich völlig korrekt sofort den TQ zu nehmen (siehe auch Leitlinie), bei der isolierten Schnittwunde aus meinem Beispiel eher nicht.
Da ist halt der Unterschied zwischen Laien und Fachpersonal - man kann halt unterschiedliches erwarten und ich gehe auch davon aus, dass gesundes Urteilsvermögen an der Einsatzstelle von den Profis vorhanden ist.
Dennoch ist hier ein Forum, in dem auch viele auf EH-Niveau mitlesen und diskutieren, daher habe ich mich an
Im professionellen Bereich wird Abbinden mehr und mehr Mittel der ersten Wahl, weil es unschlagbar schnell und die Erfolgskontrolle einfach ist. Natürlich profitiert nur ein winziger Teil unserer Patienten von solchen Optimierungen, aber das sind nunmal die Patienten auf die wir trainieren. Im EH- und San-Niveau ist der Druckverband natürlich weiterhin der Standard, mir fällt nur das Umdenken zunehmend schwer... gestört, weil es quasi beinhaltet, dass im professionellen Bereich jede Blutung mehr und mehr durch einen TQ versorgt wird - das trifft aber ja nicht auf alle Blutungen zu, sondern nur für die unter bestimmten Konstellationen - für den Rest greifen ja auch die Profis auf normales Verbandmaterial zurück.
Der TQ ist - bei richtiger Indikationsstellung - ein wirklich gutes, preiswertes und lebensrettendes Device, ist aber nicht für jede Blutung das Allheilmittel. Daher bin ich froh, dass es sich, zumindest im Rettungsdienst, mittlerweile an den meisten Standorten findet, auch wenn die Maßnahme wirklich nur selten notwendig ist - in diesen Fällen sollte man aber sofort dran denken und auch unmittelbar einsetzen.