Person nicht ansprechbar in Sporthalle

Hier könnt ihr erlebte Einsätze schildern und sie können von uns gemeinsam besprochen werden.

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03.06.2010, 15:09
Einsatz

Das diensthabende SSD-Team einer beruflichen Schule, betehend aus zwei erfahrenen Sanitätshelferinnen, wird am 16. 06. 2009 um 11.20 Uhr mit der Einsatzmeldung "kollabierte Person" in die Sporthalle gerufen.
Der Einsatzort wird um 11.22 Uhr erreicht.

Vor Ort bietet sich folgendes Bild: Der Schüler (geb. 1990) ist bereits wieder bedingt ansprechbar und liegt in Rückenlage in der Sporthalle. Der Patient ist dem Team bereits bekannt, er nahm vier Tage zuvor ebenfalls mit Kreislaufproblemen die Hilfe des Schulsanitätsdienstes bzw. später auch seines Kardiologen in Anspruch. Bekannt sind daher div. Herzerkrankungen in der Familienanamnese, der Patient selbst hat einen Defekt in der Herzscheidewand, d.h. zwischen linker und rechter Herzkammer klafft ein Loch, durch das es zu einer Vermischung von sauerstoffreichen und sauerstoffarmen Blut kommt. Normalerweise bereitet dies aber keine Probleme.

Der initial gemessene Blutdruck beträgt 170 / 80 mmHg, der Puls liegt bei 100 bpm.

Dem versorgenden Team fällt die kurzatmigkeit des Patienten auf, ebenso sind leicht brodelnde Geräusche bei der Atmung zu vernehmen.

Das Team lagert den Patienten daraufhin in Oberkörper-Hochlage und alarmiert den Rettungsdienst mit Verdacht auf Herzinsuffizienz, differentialdiagnostisch Kreislaufdysregulation mit Hypertonus bei bekannter Herzerkrankung.

Anschließend stellt das Team eine Reanimationsbereitschaft her und überwacht kontinuierlich die Vitalzeichen und den Blutdruck.

Material für weiterführende Maßnahmen (Pulsoximetrie, Sauerstoff) ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorhanden gewesen.

Bei der Übergabe an den Rettungsdienst beträgt der NiBD 150 / 70 mmHg, der Puls liegt bei 104.

Das Team unterstützt bei der Lagerung sowie bei der Vorbereitung und Anlage eines venösen Zuganges.

Der Einsatz wird um 12.15 Uhr beendet.

Der Patient kann nach einigen Wochen wieder die Schule besuchen und wird zukünftig vom Schulsport freigestellt.


Diskussion

Kardiologische Probleme betreffen nicht nur ältere Patienten. Auch in jugendlichem Alter muss ein Schulsanitätsdienst auf eventuelle Komplikationen dieser Art vorbereitet sein.
Grundlage hierfür ist ein grundlegendes Verständnis der Anatomie und Physiologie des Herz-Kreislauf-Systems.
Die Kollegin führte bei bekannter Vorgeschichte konsequenterweise auch eine Auskultation des Brustkorbes durch, wobei die pathologischen Atemgeräusche erkannt wurden.
Die Kenntnis über Vorerkrankungen des Patienten ist ein wesentlicher Vorteil des Schulsanitätsdienstes. Der Sportlehrkraft war die Herzerkrankung bis dato gar nicht bekannt. Infolgedessen wurde angeregt, auf den Anmeldebögen für die Bildungsgänge diverse möglicherweise relevante Vorerkrankungen zu erfragen, um Komplikationen dieser Art in Zukunft zu vermeiden.
Dieses Vorhaben musste jedoch aus datenschutzrechtlichen Gründen leider wieder aufgegeben werden.
35 Jahre, Im-RTW-beim-Patienten-Sitzer, hauptamtlicher "Zivi"-in-den-Hintern-Treter, ehrenamtl. Löschknecht, Obermufti von einigen SSDs -- im schönsten Bundesland der Welt: Schleswig-Holstein!

03.06.2010, 16:47
"Verdacht auf Herzinsuffizienz, differentialdiagnostisch Kreislaufdysregulation mit Hypertonus bei bekannter Herzerkrankung."
Bei dieser Notrufmeldung war die Leitstelle sicher schwer begeistert...

03.06.2010, 17:49
Original von peit
"Verdacht auf Herzinsuffizienz, differentialdiagnostisch Kreislaufdysregulation mit Hypertonus bei bekannter Herzerkrankung."
Bei dieser Notrufmeldung war die Leitstelle sicher schwer begeistert...


Das dacht ich mir auch :D
" Die jungen Leute von heute sind wesentlich angenehmer als in den 60er, 70er und 80er Jahren. Sie sind toleranter und respektvoller, auch älteren Leuten gegenüber. "
- Heino

03.06.2010, 20:11
Vor Ort bietet sich folgendes Bild: Der Schüler (geb. 1990) ist bereits wieder bedingt ansprechbar und liegt in Rückenlage in der Sporthalle. Der Patient ist dem Team bereits bekannt, er nahm vier Tage zuvor ebenfalls mit Kreislaufproblemen die Hilfe des Schulsanitätsdienstes bzw. später auch seines Kardiologen in Anspruch. Bekannt sind daher div. Herzerkrankungen in der Familienanamnese, der Patient selbst hat einen Defekt in der Herzscheidewand, d.h. zwischen linker und rechter Herzkammer klafft ein Loch, durch das es zu einer Vermischung von sauerstoffreichen und sauerstoffarmen Blut kommt. Normalerweise bereitet dies aber keine Probleme.


Patienten mit einem "Defekt in der Herzscheidewand" treten heute im Rettungsdienst kaum noch in Erscheinung.

Man unterscheidet zunächst einmal einen Kammer- von einem Vorhofseptumdefekt.

Gehen wir zunächst einmal vom Kammerseptumdefekt aus. Wie wir alle wissen, ist der Druck in der linken Kammer des Herzens wesentlich höher, als auf der rechten Seite. Also wird durch diesen Defekt das Blut dem Druck folgend von der linken wieder in die rechte Kammer gepumpt. In diesem Stadium ist der Patient nicht zyanotisch, da kein sauerstoffarmes Blut in den Körperkreislauf gerät. Das Problem ist aber, dass die andauernde Volumenüberbelastung des rechten Herzens zu einer Schädigung der Lungenstrombahn mit entwicklung einer pulmonalen Hypertonie führt. Symptome sind zunächst einmal die einer Herzinsuffizienz, Lungenödem, schlechte Belastbarkeit etc.. Die fortschreitende Schädigung der Lunge führt im Verlauf zur sogenannten Eisenmenger-Reaktion, bei der nun der Druck im rechten Herzen größer wird, als der im linken Herzen. Das Auftreten einer Eisenmenger-Reaktion verschlechtert die Prognose erheblich, der Patient wird sehr wahrscheinlich versterben.
Daher werden heute nahezu alle Patienten, bei denen ein solches Problem auftritt, schon in frühen Lebensjahren operiert und haben dann ein normales Leben vor sich.

Was will ich damit sagen? Einen Patienten zu treffen, der unerkannt einen Kammerseptumdefekt hat, der dann aber in der Lage ist, Sport zu treiben und dabei dann ein akutes Problem entwickelt, ist doch sehr unwahrscheinlich.

Bei einem Vorhofseptumdefekt sind die hämodynamischen Auswirkungen nicht mehr ganz so dramatisch und da das Risiko einer pulmonalen Hypertonie gering ist, kann es sein, dass im Kindesalter auf eine Operation verzichtet wird. Wahrscheinlicher als eine kardiale Dekompensation durch eine Volumenüberladung ist aber eine paradoxe Embolie, bei der es zu einem Übertritt eines Thrombus vom rechten Herzen in den Körperkreislauf mit daraus folgenden Schlaganfällen kommt.

Mit anderen Worten: Der hier geschilderte Fall würde eine absolute Rarität darstellen.
Zuletzt geändert von Don Spekulatius am 05.06.2010, 13:56, insgesamt 2-mal geändert.
Es ist Dein Recht, Waffen abzulehnen. Es ist Deine Freiheit, nicht an Gott zu glauben. Aber wenn jemand in Dein Haus einbricht, sind die ersten beiden Dinge, die Du tun wirst: Jemanden mit einer Waffe rufen und beten, dass er rechtzeitig da ist.
07.06.2010, 14:54
Original von Hajo Behrendt
Die Kenntnis über Vorerkrankungen des Patienten ist ein wesentlicher Vorteil des Schulsanitätsdienstes. Der Sportlehrkraft war die Herzerkrankung bis dato gar nicht bekannt. Infolgedessen wurde angeregt, auf den Anmeldebögen für die Bildungsgänge diverse möglicherweise relevante Vorerkrankungen zu erfragen, um Komplikationen dieser Art in Zukunft zu vermeiden.
Dieses Vorhaben musste jedoch aus datenschutzrechtlichen Gründen leider wieder aufgegeben werden.

Das finde ich sehr schade, dass solche Vorschläge abgelehnt werden.
In einer Berufsschule, wo fast ausschließlich erwachsene Menschen rumlaufen, halte ich das nicht für soooo wichtig, da der Patient einem auch selbst sagen kann, was er für Vorerkrankungen hat. (Ausnahme: Der Patient ist bewusstlos. Dann bringt es einem normalen SSD aber auch herzlich wenig, dass er die Vorerkrankungen kennt. Hier gibt es höchstens einen Vorteil für den Rettungsdienst:)
In einer normalen weiterführenden Schule halte ich das jedoch für sehr sinnvoll, da ich es schon oft erlebt habe, dass Schüler zwar eine Vorerkrankung haben, aber selbst nichts davon wissen. Auch eventuell vorhandene Notfallmedikamente fliegen nur irgentwo in der Ecke des Schulranzens rum und das Kind hat keine Ahnung, wie man damit umgehen muss.
Hier finde ich es durchaus sinnvoll, die Vorerkrankung in der Schulkartei zu vermerken, da so der SSD nur kurz auf die Karte des entsprechenden Schülers gucken muss und die Vorerkrankungen kennt und nicht erst Rätselraten mit dem Patienten spielen muss, bis er zu einem unsicheren Ergebnis kommt. Hier könnte dann evtl. direkt auch vermerkt werden, ob Notfallmedikamente vorhanden sind und wie/wann diese eingenommen werden müssen.
Wie das Datenschutzrechtlich aussieht, weiß ich nicht.
Ich bin als Rettungsschwimmer geboren, mit Wasser gestillt und aufgezogen! Hurra!:P

leverkusen.dlrg.de
www.drk-lev.de
07.06.2010, 18:54
Original von LevSani
Wie das Datenschutzrechtlich aussieht, weiß ich nicht.

Datenschutzrechtlich sieht es so aus, dass es niemanden etwas angeht, welche Krankheiten ich habe. Was denn sonst noch? Eine Diagnosentätowierung auf der Stirn?
Was hätte denn die Kenntnis der Herzerkrankung an der Behandlung des SSD geändert? Wenn der Patient bewußtlos ist, dann soll er einem Arzt zugeführt werden. Dafür ist es nicht notwendig, dass Dutzende Laien und Halb-Laien Zugriff auf die medizinischen Daten eines Patienten haben.
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07.06.2010, 21:10
Es geht darum, das die Sport-Lehrkraft (ebenso wie alle anderen Lehrkräfte) keine Informationen über eine kardiale Vorerkrankung hatte.

Wäre diese bekannt gewesen, hätte die Person wahrscheinlich gar nicht am Schulsport teilgenommen.

Für die Versorgung durch den SSD macht es natürlich erst einmal keinen Unterschied, solange der Patuent noch befragt werden kann.

Hätte die Bewußtlosigkeit angehalten, wäre aber das Wissen über mögliche Grunderkrankungen hilfreich gewesen.

Zumindest die Klassen- und Sportlehrkräfte sollten über bestehende Grunderkrankungen informiert werden.
35 Jahre, Im-RTW-beim-Patienten-Sitzer, hauptamtlicher "Zivi"-in-den-Hintern-Treter, ehrenamtl. Löschknecht, Obermufti von einigen SSDs -- im schönsten Bundesland der Welt: Schleswig-Holstein!

07.06.2010, 21:20
Nein. Sollten sie nicht. Nur wenn es der Schüler/dessen Eltern bei einem minderjährigen Schüler für nötig halten. Ansonsten besteht überhaupt keine Veranlassung Vorerkrankungen zu erfassen.

Mal abgesehen davon: Wie hättet ihr denn eure Behandlung auf die Vorerkranung anpassen können?

07.06.2010, 21:47
1.) Die SchülerInnen sind meist volljährig

2.) Habe ich bereits gesagt, dass das in diesem Fall keinen Unterschied gemacht hätte, da der Patient ja noch zu befragen und außerdem bekannt war!

3.) Bei einer unklaren Bewußtlosigkeit wärst du schon froh, wenn du etwas über die Grunderkrankungen wüsstest.

4.) Lehrkräfte haben immerhin eine Verantwortung für die Schüler. Um die individuellen Leistungsmöglichkeiten und -grenzen abzuschätzen (insbesondere im Sport) ist die Kenntnis über Vorerkrankungen unabdingbar.

Wenn ein lebensbedrohlicher Zustand auftreten kann, müssen aus meiner Sicht die Lehrkräfte darüber Bescheid wissen, um im Notfall zügiger und zielgerichteter reagieren zu können.

Leider werden die Grunderkrankungen häufiger verschwiegen, das ist insbesondere bei Krampfleiden der Fall. Da hatten wir schon einige böse Überraschungen.
35 Jahre, Im-RTW-beim-Patienten-Sitzer, hauptamtlicher "Zivi"-in-den-Hintern-Treter, ehrenamtl. Löschknecht, Obermufti von einigen SSDs -- im schönsten Bundesland der Welt: Schleswig-Holstein!

07.06.2010, 23:20
Nein, im Normalfall geht das niemanden etwas an, was ich, meine Tochter oder sonstwer für Erkrankungen hat.
Etwas anderes ist es natürlich, wenn ich dadurch z.B. nicht oder nur eingeschränkt Sport treiben kann oder bestimmte Notfallmedikamente ggf. verabreicht werden sollen. In diesen Fällen werden die Patienten/ Eltern aber ganz sicher von sich aus auf die Schule zugehen.

zu 2 und 3:
Was ändert sich denn bei einer bekannten Vorerkrankung an der Behandlung? Nur weil jemand einen Herzfehler/ Epilepsie/ Marfan-Syndrom/ whatever hat, kann er ja durchaus auch wegen einer anderen Ursache bewusstlos geworden sein. Zumal mir ehrlich außer der Synkopen-Behandlung keine ursächliche Therapie einer Bewusstlosigkeit einfällt die durch Sanitäter erfolgen könnte.

08.06.2010, 10:59
Wenn mir jemand eine Erkrankung verschweigen will, dann wird er es auch dann tun, wenn ich ihm einen Bogen hinlege, auf dem ich das schriftlich haben will. Ich kann schließlich niemanden dazu zwingen mir seine Krankengeschichte offenzulegen.

Und wenn jemand aus irgendwelchen Gründen eine "Sonderbhandlung" aufgrund seiner Erkrankung will oder braucht (z.B. nur eingeschränkt am Sportunterricht teilnehmen) wird er mir das schon kund tun ohne dass ich ihn gezielt danach fragen muss. Und ob nun ein Verzicht/ eine Einschränkung der sportlichen Betätigung notwendig ist, das sollte doch besser der behandelnde Arzt als der Sportlehrer entscheiden.


Und wie schon einige geschrieben haben: Was hätte es an eurer Versorgung eines Bewusstlosen geändert, ob ihr nun von dem Septumdefekt gewusst hättet oder auch nicht?
...meint die Bine
RS, Ausbilderin EH, SanKurs, AED und Praxisanleiterin
Studentin (Bio und Chemie auf Lehramt)


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