Ruhigstellung von Extremitäten -> RD!

Hier könnt ihr erlebte Einsätze schildern und sie können von uns gemeinsam besprochen werden.

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15.01.2010, 21:31
Die Frage richtet sich ausdrücklich nur an die RDler unter euch:
Nachdem es hier heute mehrfach um die Ruhigstellung von Armen, Beinen, was-auch-immer ging, fiel mir ein Einsatz ein, den ich vor einiger Zeit hatte und zu dem ich gerne eure Meinung hätte.

Patient, 18 Jahre alt, ist beim Strandlaufen in einem Sandloch doof umgeknickt und gestürzt. Deutliche Schwellung und Fehlstellung auf Knöchelhöhe und starke Schmerzen.
Solange der Fuß nicht berührt wurde ging es und der Junge ließ sich einigermaßen beruhigen. Bei jeder Berührung klagte er über stärkste Schmerzen. Die waren zwar teilweise sicher auch psychisch bedingt (Schmerz vor eigentlicher Berührung), aber nicht nur.

Ich was als Sani eingesetzt und hatte eigentlich vor, das Bein mit SamSplints ruhig zu stellen. Nach dem er nichtmal leichte Berührungen tolerierte habe ich mich - auch in anbetracht des bald erwarteten Eintreffens des Notarztes - dagegen entschieden, den Fuß zu schienen.
Als der Notarzt vor Ort war, hat er den Fuß dann trotzdem selber geschient. Danach waren die Schmerzen zumindest ein wenig besser, aber immer noch stark.
Soweit so gut, aber *nach* der Schienung (die erwarteter Maßen nur mit unter größten Schmerzen für den Jungen möglich war, hat er Schmerzmittel verabreicht. Was genau weiß ich nicht, u.U. war auch ein Beruhigungsmittel dabei - kurze Zeit später war der Patient jedenfalls nicht ansprechbar.
Da der Unfall sich am Strand ereignete, musste der Patient dann noch eine relativ lange Strecke in einem privaten Geländewagen (von einer Segelschule) transportiert werden (der RTW war also nicht direkt vor Ort!).

Warum die Reihenfolge: Ruhigstellung, Schmerzbekämpfung?
Ich hätte erwartet (und deshalb auch auf die Schienung verzichtet), dass der Notarzt erst Schmerzmittel verabreicht und *dann* schient.

15.01.2010, 21:37
ôhne jetzt eine Lehrbuch-Erklärung zu haben fallen mir zwei mögliche Gründe ein.

1. Der Arzt wollte das der Junge noch seinen Fuß spürt, um nach Anbringung der Schienung nochmal DMS zu prüfen.

2. Der Arzt hat die Schmerzen nicht für ganz voll genommen, bzw wollte die Gabe von Analgetika vermeiden. Nachdem er aber merkte das der Pat. das partout nicht toleriert (und vlt auch auf grund des Transportes übern Strand) hat er dann sich um-entschieden.


Wie gesagt, sind nur Überlegungen. :)
" Die jungen Leute von heute sind wesentlich angenehmer als in den 60er, 70er und 80er Jahren. Sie sind toleranter und respektvoller, auch älteren Leuten gegenüber. "
- Heino

15.01.2010, 21:44
Ja, sowas ähnliches hatte ich auch mal. Fall war ein ebenfalls junger Mann der bei einem Kampfsporttunier (German Open Ju-Jutsu, wo ich seit 4 Jahren im medizinsichen Team mitarbeite). Dieser hatte sich jedoch Ulnar und Radius deutlich sichtbar frakturiert. Vor Ort waren von ärztlicher Seite sowohl ein Chirurg, noch ein Anästhesist. Dennoch wurde erst geschient und der Arm wieder gerade gebogen und dann Analgesie betrieben (in dem Fall ketanest und dormicum). Ich hatte damals nachgefragt und bekam von dem Chirurgen die Antwort, dass er immer gerne so schient/reponiert/etc um danach eine Sensibilitätskontrolle machen zu können. Ist der Patient zu stark analgosediert könnte er das nicht mehr und eine mögliche Nervenverletzung würde erst sehr spät in der Klinik auffallen. Das zumindest seine Aussage. In wiefern das nun stimmt oder nur die Meinung eines Chirurgen (zu dem einer der alten Schule - 63 Jahre alt) ist weiß ich nicht. Der Anästhesist meinte nur er hätte es besser gefunden vorher was gegen Schmerzen zu geben...
Und aus dem letzten Satz schließe ich fr mich, dass es stark vom Arzt und dessen Schwerpunkt abhängt.
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Alex
"Wer für alles offen ist, kann nicht ganz dicht sein!"

15.01.2010, 21:59
Hmm, dass mit der DMS ist keine schlechte Überlegung, auch wenn ich mich zumindest nicht daran errinner, dass die hinterher noch geprüft wurde. Wobei ich auch bezweifel, dass der Patient da irgenwas sinnvolles hätte zu sagen können - er war genug mit schreien beschäftigt^^

Was den Transport angeht: Interessanterweise wurde der Junge auch unmittelbar nach Analgetikagabe verladen - ohne auf einen Wirkungseintritt zu warten...

Aber die divergierende Ärztemeinung bestätigt mich ja zumindest in meinem eigenen Handeln...

16.01.2010, 02:47
Also ich denke, wir haben hier den typischen Fall von Chirurg als Notarzt. Ohne den Doc vor Ort gesehen zu haben: man kann bei Chirurgen (gerade des älteren Baujahrs) davon ausgehen, das jeder Knochenbruch und jede Wunde per se ersteinmal gar nicht so schlimm ist, wie es ausschaut und wie der Patient tut. Daher gibt's auch ne halbe Ewigkeit keine Schmerzmittel, so der Patient denn überhaupt von einem Knochenbrecher welche bekommt.
Bei den jüngeren NAs aus der Chirurgie (egal ob Facharzt oder Assistent) beobachte ich zum Glück eine patientenschonendere Herangehensweise, die mehr der aktuellen Auffassung entspricht, das ein Patient heutzutage keine Schmerzen mehr zu haben braucht.

Finde ich auch immer so erbaulich, einen NA nachzufordern zwecks Analgesie (z.B. bei manch Schenkelhals ab und an nötig) und der Doc dann letztlich doch nichts macht, weil es ein Chirurg jenseits der 45/50 ist.

Naja. Der Grund ist oft also eine Mischung aus den beiden oben genannten Theorien: Sensibilitätsprüfung (wobei ich das nur halb glauben kann) und "Durchhalten-Mentalität".

Warum ich mich mit der Sensibilitätsprüfungstheorie schwer tue? Nun, mir ist bewusst, dass ich vor und nach einer Reponierung/Ruhigstellung DMS prüfen sollte, keine Frage.
Jedoch ist die Prüfung vor Reponierung problemlos möglich (und bei Nervenschädigungen hab ich hier schon meine Antwort, die ich brauche) und wenn ich dann nach Analgesie oder Analgosedierung, Reponierung und/oder Schienung erneut prüfe, reicht mir halt erstmal die Durchblutungskontrolle. Sicherlich kann man da Fälle konstruieren, wo bei Reponierung noch was kaputt geht oder ein eingeklemmter Nerv wieder frei kommt (da hab ich meist aber "nur" Parästhesien bei der vorigen Kontrolle festgestellt und keinen totalen Sensibilitätsverlust) - fragt sich nur, was ich mit so einer Info dann im Nachhinein erstmal akut anfangen will?

Bei guter Analgosedierung ist der Patient in der Aufnahme nämlich wieder so weit fit, das der aufnehmende Doc die gesamte Palette an Untersuchungen durchführen kann. Womit wir wieder bei der Thematik der Fachrichtung wären: Einem Anästhesisten gelingt diese punktuelle Steuerung sicherlich besser, als einem Internisten oder besagtem Chirurg. (Ja, ich weiss, ich bin ein Ketzer.)

Naja. Lange Rede, kurzer Sinn. Im Prinzip sollte ein Patient keinerlei unnötige Schmerzen mehr leiden müssen in der modernen präklinischen Versorgung. Der Schaden-Nutzen-Abgleich würde da sicherlich negativ ausfallen für das im Eingangspost geschilderte Vorgehen des Docs.

(Ja, Disclaimer: Ich war nicht vor Ort, kenn die Situation und Entscheidungsgrundlage des Arztes nicht, .... bla ;) )
Gerrit (RettAss)
"Wir sind längst im Paradies, haben die Hölle draus gemacht!" --- ASP, Ich bin ein wahrer Satan
ASP - Sage Nein!

16.01.2010, 08:07
Wenn die These mit der notwendigen Sensibilitätsprüfung zutreffen würde, dürfte es ja überhaupt keine Reponierung in Narkose geben. Im OP kann der Chirurg ja auch nicht sofort die Sensibilität testen aber komischerweise hat hier noch niemand daraus die Konsequenz gezogen, dass der Patient nicht zu betäuben wäre.

Abgesehen davon ist es, wie GeKue schon sagte, überhaupt kein Problem, die Analgosedierung so zu dosieren, dass der Patient kurz nach der Reponierung wieder ansprechbar ist.

Dann frage ich mich, welche Konsequenz der Chirurg daraus zieht, wenn die Sensibilität ausgefallen ist. OK - er könnte die Reponierung noch mal wiederholen und versuchen, den Druck vom Nerven zu nehmen. Nur: Entweder ist der Nerv durchtrennt - dann hilft auch keine Reponierung oder er wird komprimiert. Nun weiß aber der bandscheibengeplagte Mensch (isch hab Rücken....), dass ein solcher Nerv sich auch nach stundenlanger Druckschädigung durchaus erholen kann.

Meine These ist, dass ein Chirurg, der sich so verhält, einfach keine Ahnung von Analgosedierung hat und damit nicht in den NA-Dienst gehört.

@Peit:
Zumindest, wenn Du eine Analgosedierung mit Ketamin/Midazolam durchführst, setzt die Wirkung nahezu sofort ein und ein Warten auf den Wirkungseintritt ist nicht notwendig. Das wäre ein weiterer Vorteil gegenüber einer Analgesie mit Opiaten, bei der ich mich eher an die Dosis herantitrieren sollte.
Es ist Dein Recht, Waffen abzulehnen. Es ist Deine Freiheit, nicht an Gott zu glauben. Aber wenn jemand in Dein Haus einbricht, sind die ersten beiden Dinge, die Du tun wirst: Jemanden mit einer Waffe rufen und beten, dass er rechtzeitig da ist.

16.01.2010, 14:59
Das unterstreicht dann ja nochmal meine, zu nachtschlafender Zeit geschriebenen, Zeilen. Haben wir wohl mal ein Thema gefunden, bei dem wir uns einig sind. ;)
Gerrit (RettAss)
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16.01.2010, 15:14
Wie gesagt, ich weiß nicht, womit die Analgesierung durchgeführt wurde, aber beim Verladen ins Auto war der Patient noch ziemlich wach und schmerzverzehrt - 10min später bei der Übergabe an den RTW nicht mehr...
Der Patient musste dann im RTH weiter transportert werden - aber das dürfte ja eigentlich auch nichts ändern, oder?

Reponiert wurde übrigens nicht - eigentlich nur der Samsplint (der dazu noch deutlich zu klein war) unter den Arm gebunden (es gab aber sonst keinen).

Und um noch ein Lanze für alle Chirugen zu brechen - der Arzt war Allgemeinmediziner (oder aufgrund des Alters vielleicht auch eher praktischer Arzt)...

16.01.2010, 15:25
Original von GeKue
Haben wir wohl mal ein Thema gefunden, bei dem wir uns einig sind. ;)

Mir ist noch nie aufgefallen, dass es oft anders gewesen wäre. Und wenn - Einigkeit wird oft deutlich überbewertet. :D
Es ist Dein Recht, Waffen abzulehnen. Es ist Deine Freiheit, nicht an Gott zu glauben. Aber wenn jemand in Dein Haus einbricht, sind die ersten beiden Dinge, die Du tun wirst: Jemanden mit einer Waffe rufen und beten, dass er rechtzeitig da ist.

16.01.2010, 15:52
Oh - mein Satz bezog sich eher auf die Gesamtheit der Aussagen hier und nicht speziell auf Deinen vorherigen Kommentar, Don.
Ansonsten ist mir auch noch nicht aufgefallen, dass wir großartig differierende Auffassungen hatten.

@peit: SamSplint am Arm? Verschrieben, oder? Ging es nicht um eine dislozierte Sprunggelenksfraktur? Die ist per definitionem eher am Fuss zu suchen. ;) :P
Gerrit (RettAss)
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ASP - Sage Nein!

16.01.2010, 16:15
Upps, Fuß wäre richtig gewesen. Wobei der SamSplint von der Größe am Arm sicher besser gepasst hätte...


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