Sprung von der Brücke: WS, Atemnot, SHT

Hier könnt ihr erlebte Einsätze schildern und sie können von uns gemeinsam besprochen werden.

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14.08.2014, 12:07
Hallo zusammen, Ich würde mich freuen, wenn sich jemand etwas Zeit nehmen könnte.. :D
Gestern ist ein Mann von einer Brücke gesprungen, trotz Verbotsschild, und ist erwartungsgemäß bei seinem Kopfsprung gegen einen Felsen im Meer gesprungen. Die Rettungsschwimmer hatten die Szene beobachtet, da sich auf der Brücke eine Menschenansammlung bildete, um den Mann vermutlich an seiner Aktion zu hindern. Nach seinem Absprung sind die Rettungsschwimmer (selbstverständlich) in seine Richtung geeeilt, ich durfte mitkommen (i.A.) . Der Mann kam bereits schwankend aus dem Wasser, schien Schmerzen am Brustkorb zu haben und war voller Blut (diverse Schürfwunden, wie sich später herausstellte auch eine tiefe Kopfplatzwunde). Bei der ersten Ansprache haben wir bemerkt, dass er verwirrt war und schlecht Luft bekam. Die Rettungsschwimmer sagten ihm, er solle sich hinsetzen. Beim Hinsetzten klagte der Mann plötzlich über einen starken, stechenden Schmerz im Bereich der WS und er bekam zunehmend Atemnot.
Ab diesem Zeitpunkt kann ich gewisse Ersthelfermaßnahmen der Rettungsschwimmer nicht mehr nachvollziehen. 1) Sie haben ihm ein Stifneck angelegt. 2) Einer ging und forderte einen Notarzt an (was genau er sagte habe ich nicht mitbekommen, ich war beim Pat.) 3) Der eine Rettungsschwimmer ging hinter dem Mann, sodass dieser seine « muskulatur nicht anspannen musste » da er sich nun anlehnen konnte – gleichzeitig kam eben das typische gute Zureden, Beruhigen. 4) der andere Rettungsschwimmer hat die Kopfwunde steril abgedeckt. (War schwer zu beurteilen, wie stark diese blutete, da wegen dem Meer der ganze Körper blutbedeckt war..) 5) der dritte Rettungsschwimmer nahm die Vitalwerte (man muss dazu sagen, dass der Pat. zunehmend zyanotisch wurde) : SpO2 91%, HF 110, RR 90 . 5) der Pat. bekam eine Rettungsdecke und wir warteten auf den RTW. Nach ein paar Minuten ließ die Atemnot nach, der Pat. war ziemlich ruhig und wir konnten feststellen, dass er alkoholisiert war. Allgemein hatte der Pat. keine Sensibilitätsstörungen oder Ausfälle erlitten. Als die RTW-Besatzung eintraf bekam er Sauerstoff (SpO2 95% ) und der Pat. klagte über Schwindel. Er wurde flach gelagert.
Alsooo.. meiner Meinung nach wäre die Atemnot primär zu behandeln gewesen. Da mich die Rettungsschwimmer schon mitnahmen, obwohl ich nicht versichert bin, habe ich mich aus ihren Behandlungsmethoden rausgehalten. Ein Stifneck anlegen überstreckt die Atemwege doch nicht ?? Und gerade bei einer Atemnot kann es das Atem doch erschweren ? Der RD ließ das Stifneck an und gab zusätzlich noch Sauerstoff – eine Maßnahme, die wir allerdings nicht hätten machen können, da wir kein Sauerstoffgerät zur Verfügung hatten. Trotzdem glaube ich, dass man in diesem Fall dann das Stifneck auch hätte weglassen müssen. Des weiteren äußerte ein Rettungsschwimmer im Nachhinein seine Meinung, dass die Atemnot eher in Richtung Hyperventilation ging, da die Sauerstoffsättigung « noch « zu hoch war. (Ab welchem Wert spricht man den von einer Atemnot ?). Mir fiel allerdings auf, dass die Atemfrequenz zu niedrig war (ich habe sie aber nicht gemessen..) – was doch eigentlich nur auf eine Atemnot hindeutet, oder ? Bei einer Hyperventilation ist sie doch eher erhöht ? Der Rettungsschwimmer meinte (bezüglich : es war keine Atemnot), dass die zyanotische Färbung auch von der Kälte hätte stammen können, da das Meer 22° hatte, und uns seine vorherige Körpertemperatur nicht bekannt war.. das würde vielleicht auch das Schwanken / Schwindelgefühl erklären.. wobei der Pat. schon etwas zusammengekauert aus dem Wasser kam, sich am Brustkorb festhielt – aber er hat nicht gezittert. Und nun noch einmal zum Stifneck : bringt es eigentlich etwas, wenn der Patient sitzt ? ich dachte, sobald das Becken bewegt wird, bewegt sich auch die WS ?
Im Nachhinein kam mir auch noch eine andere Theorie, auf die irgendwie letztendlich niemand so wirklich geachtet hat : Die Kopfplatzwunde. Eine Kopfplatzwunde ist zwar offiziell kein SHT, aber da diese relativ tief war.. ich vermute, er hätte auch ein leichtes SHT erleiden können (wir haben die Glasgow Coma Scale nicht durchgemacht). Das hätte vielleicht auch den Schwindel erklären können, sowie die « Atemnot ( ?)». Letztendlich wäre die aufrechte Lagerung also berechtigt gewesen…
Ich bin gerade etwas verwirrt (wie man es sicherlich merkt ^^) aber ich muss noch einmal sagen : Die Atemnot wurde letzten Endes durch eine « falsche » Bewegung der WS ausgelöst… ich fand, es sah schon fast nach einer kurzen Verkrampfung aus, mit anschließender Luftnot..
Ich hoffe jemand kann mir weiterhelfen,VIELEN VIELEN Dank schon einmal, Grüße :)

14.08.2014, 12:14
oh, und mir fällt gerade beim erneuten durchlesen auf, dass ich eine weitere Frage vergessen habe: Was sind eigentlich die typischen Vitalwerte bei einer Atemnot (RR, HF/Puls) ? Danke ! :D

14.08.2014, 12:40
In der Tat, etwas konfus, auch vom Patienten:)

1. Wenn ein Verbotsschild da ist könnte es ja sein, dass das einen Sinn macht - also vielleicht erst mal langsam springen ;)

2. Glück für ihn, dass er noch selbst aus dem Wasser kam - andere haben sowas schon "teurer" bezahlt"...

3. Unter Kenntnis des Unfallhergangs hätte ich ihn an geeigneter Stelle Mit einem Spineboard o.ä. immobilisiert, alternativ flach auf dem Boden behandelt.
Die (korrekte) Anlage eines Stifnecks ist indiziert, zusätzlich Immobilisation des gesamten Körpers.

4. Notarzt-Anforderung finde ich gut - allein schon durch den Unfallhergang.

5. Beruhigen und gut Zureden ist immer nett, ich würde diesen Patienten nach Möglichkeit nicht in dieser Position lagern.

6. Was bei "viel Blut (oder Wasser-Blut)" bei der Anzahl an Helfern wichtig ist, wäre eine kurze Säuberung mittels Kompressen, damit man ein wenig abschätzen kann, ob eine "problematische" Wunde dabei ist. Zudem vermisse ich an dieser Stelle eine gründliche Traumaversorgung des Patienten.

7. Die Vitalparameter sind jetzt nicht so richtig prall - machen kann man da halt ohne Material erst mal wenig.

Hier kommen wir gleich auf die Sättigung / Atemnot:

Was wäre denn eine normale, gute Sättigung bei einem gesunden Menschen? Neben dem absoluten Wert ist für mich auch die Tendenz spannend - ist die Sättigung von Beginn der Messung ab bei 91%, oder bewegen wir uns innerhalb einer Minuten von 98% auf 91%...

Einige typische Zeichen von Atemnot:
- Angst (!) - ganz wichtiger Faktor!
- Aüßerungen, "keine Luft zu bekommen"
- Zyanose
- erhöhte Atemarbeit / Einsatz Atemhilfsmuskulatur
- Pathologische Atemgeräusche (Giemen, Brodeln, kein AG,...)
- (schlechte Sättigung...)

Die Frage nach den Vitalparametern beantwortest du dir jetzt am besten mal selbst:)

Die Äußerung mit dem Stifneck kann ich nicht ganz nachvollziehen: Richtig ist, dass dieser den Kopf nicht wirklich überstreckt - aber das muss ja auch nicht sein. Lediglich beim Bewusstlosen Patienten ist das Überstrecken des Kopfes - während du das liest hast du deinen Kopf ja wahrscheinlich auch "normal" und erstickst nicht..:) Fazit: Stifneck in diesem Fall sicher richtig, sofern korrekt angelegt.

Von einer Hyperventilation würde ich im Rahmen des Unfallgeschehens und der angegebenen Sättigung eher nicht ausgehen - wie sehen denn die Hyperventilationspatienten im Sanitätsdienst typischerweise aus?

Ebenso ist eine Unterkühlung im Rahmen der Wasserrettung sicher ein Punkt, an den man denken muss - wichtig wäre hier aber auch noch die Lufttemperatur, er war ja wohl nur ganz kurz im "angenehm temperierten" Wasser...



Summa summarum: Dumme Aktion, Schädelverletzung mit potentiellem SHT (das kann eine niedrige AF erklären - die bessert sich dann aber vor Ort eher nicht, sondern killt den Patienten ohne Therapie...) und Atemnot. Da er auch Schmerzen im Bereich des Thorax angab und sich diese Partie "gehalten" hat kann es durchaus auch sein, dass er sich ein paar Gräten gebrochen hat, und ggf. nen Pneumothorax hat. Auch die Rippenfraktur an sich kann ausreichen, dass die Patienten im Rahmen der Schonatmung nicht mehr ausreichend atmen, und dann auch eventuell kurzatmig werden (keine Hyperventilation, sondern Tachypnoe!).


Mir fehlt in der Behandlung neben der anständigen Immobilisation die körperliche Untersuchung, am besten anhand eines strukturierten Schemas.




Vielleicht kann jemand, der sich dazu berufen fühlt, folgende Dinge nochmal erklären:

- Durchführung einer körperlichen Untersuchung beim Traumapatienten

- Entstehung und Symptome einer Hyperventilation, und der Erklärung der Begriffe "Tachypnoe" und "Hyperventilation"

- und für die ganz fleißigen Helfer: Strukturierte Versorgung eines Patienten im Rahmen der sanitätsdienstlichen und rettungsdienstlichen Behandlung - dazu gibts jetzt gleich ein nettes Fallbeispiel:)
Zuletzt geändert von leuchtreklamefahrer am 14.08.2014, 12:55, insgesamt 1-mal geändert.

14.08.2014, 13:47
vielen Dank erst einmal für Deine schnelle Antwort.
ein Spineboard hatten wir leider nicht, nur einen kleinen Notfallrucksack..
die Säuberung mittels Kompressen fand ich persönlich jetzt auch nicht so wichtig - wenn eine Wunde stark bluten sollte, müsste man doch bemerken, dass neues Blut nachfließt, da die Farbe intensiver sein sollte.. aber stimmt, wenn man noch Zeit hat vor dem Eintreffen des RD :)
Eine gute Sättigung wäre 97%-100%, eine Tendenz war nicht wirklich erkennbar, der Wert schwankte manchmal von 91-93%. Nach ca. 8 Min., kurz vor Eintreffen des RD, waren es dann 95%.
ich kann mir vorstellen, dass bei einer Atemnot die AF sowie Sättigung natürlich zu gering sind, der Puls/ die HF eher erhöht und der Blutdruck niedrig.. (?)
a propos Stifneck: ich dachte dass wäre unangenehm bei einer Atemnot.. aber stimmt, hauptsache die Atemwege sind frei.. :)
Hyperventilation: schnelles Atmen, erhöhte AF, (zu viel Ein- und nicht genug Ausatmen) --> Kribbel- Gefühl (oft: Beine, Hände / Pfötchenstellung, Lippen) - orientiert.
Lufttemperatur war bei 29°! (ich bin grad in Südfrankreich..)

14.08.2014, 13:55
Original von RotesKreuz
wenn eine Wunde stark bluten sollte, müsste man doch bemerken, dass neues Blut nachfließt, da die Farbe intensiver sein sollte.

Jap - es könnte ja gerade bei Schädelverletzungen auch noch was anderes nachfließen, wenn man diese als "sehr tief" beschreibt...

Eine gute Sättigung wäre 97%-100%


Jap. Das klingt fast perfekt..

ich kann mir vorstellen, dass bei einer Atemnot die AF sowie Sättigung natürlich zu gering sind, der Puls/ die HF eher erhöht und der Blutdruck niedrig.. (?)


Meist ist im Rahmen von Atemnot die AF her erhöht. Patienten mit schlechter Sättigung aufgrund einer Bradypnoe hat man außerklinisch nicht so oft..
Wenn der Patient ordentlich Atemnot hat und aufgeregt ist,steigt meist neben dem Puls auch der Blutdruck erstmal an...

a propos Stifneck: ich dachte dass wäre unangenehm bei einer Atemnot..


Rückenmarksverletzungen sind auch nicht berühmt - wobei ein Stifneck ohne weitere Immobilisation eher nicht so der Knüller ist...

Hyperventilation: schnelles Atmen, erhöhte AF, (zu viel Ein- und nicht genug Ausatmen) --> Kribbel- Gefühl (oft: Beine, Hände / Pfötchenstellung, Lippen) - orientiert.


Und grad nochmal, bitte:)

14.08.2014, 14:08
bei einer Schädelverletzung kann auch noch Nervenflüssigkeit mitfließen.
Die Sättigung (97%-100%) habe ich so gelernt.. auf welche Werte beziehst Du dich?

Das die AF erhöht ist hätte ich jetzt nicht gedacht. Ich hatte bis jetzt 2 Fälle wo dies die ersten Minuten der Fall war, allerdings kam dann ein plötzlicher Wechsel in ein unregelmäßiges, langsames Atmen ( und ich dachte mir, das liegt vielleicht an der Erschöpfung/ Ermüdung/ am zunehmendem Bewusstseinsverlust?) Aber hier war das ja nicht der Fall.. Hättest Du eine Erklärung für die verminderte AF?

14.08.2014, 14:14
Ja, eine Sauerstoffsättigung von 97-99% ist schon okay:)

Naja, schauen wir uns mal häufiger Krankheitsbilder an, die mit Atemnot einhergehen: Asthmaanfall, Lungenödem, Herzinfarkt

Bei diesen - und den meisten anderen Krankheitsbildern mit Atemot, ist die AF erhöht - man möchte ja was kompensieren, also "mehr" einatmen.

Eine verminderte AF tritt eher bei Intoxikationen mit Narkosemedikamenten, Schädel-Hirn-Trauma (vgl. Biot, Cheyne-Stoke,...), Hypothermie etc auf.

14.08.2014, 14:21
aha ! :)) danke

14.08.2014, 14:23
Es fehlt noch eine korrekte Erklärung der Hyperventilation..:)

14.08.2014, 14:54
es wird zu schnell geatmet und demzufolge eine zu hohe Konzentration an CO2 wieder ausgeatmet. also sinkt die CO2-Konzentration im Blut was zu einem erhöhten PH-Wert des Blutes führt. Und dieser PH-Wert hindert dann die zellen daran, den Sauerstoff aus dem Blut richtig aufzunehmen. --> Minderversorgung = Kribbeln; eine Rückatmung hilft (zuviel ausgeatmetes co2 wird aufgenommen)

14.08.2014, 14:59
Es wird besser:

Hyperventilation geht oft mit einer erhöhten AF und einem erhöhten AMV einher, wird aber NICHT anhand der Atemfrequenz gemessen, sondern des im Körper vorherrschenden Kohlenstoffdioxids. Die Symptome entstehen nicht durch irgendein ph-bedingtes Problem mit der Sauerstoffaufnahme, sondern viel eher durch eine reversible Calcium-Bindung an Proteine. Der Mangel an Ca führt dann zur Übererregbarkeit von Muskelzellen und den bekannten "Krämpfen".

Neben Beruhigung kann versucht werden durch Rückatmung der Ausatemluft eine Normalisierung herbeizuführen, wobei die Symptome gut beschrieben waren. Die Sauerstoffsättigung und Versorgung des Patienten ist hervorragend, und das Krankheitsbild an sich harmlos.

Wichtig ist, die Hyperventilation nicht mit einer wirklichen Atemnot, bei welcher der Patient auf ausreichende Versorgung mit Sauerstoff angewiesen ist, zu verwechseln. Hält man beispielsweise dem atemnötigen Asthma-Patienten eine Tüte vor treibt man diesen in eine fette Hypoxie...
Zuletzt geändert von leuchtreklamefahrer am 14.08.2014, 15:05, insgesamt 1-mal geändert.

14.08.2014, 15:06
wenn der Körper aber zu viel co2 ausstößt, geht dann automatisch auch nicht eine größere Anzahl an Sauerstoffmolekülen verloren? zumindest finde ich es gerade schwer nachzuvollziehen, warum der Körper nur co2Moleküle eliminiert. hat das was mit der tiefen Atmung zu tun?

14.08.2014, 15:15
Interessanter Ansatz: Durch die gesteigerte Atemfrequenz haben wir natürlich weniger Zeit zur Aufnahme in den Alveolen.

Zu Bedenken ist:

1. Der Körper gibt eigentlich kein O², das er mal im Blut hatte, zurück in die Lunge

2. Die Lunge ist nach der Ausatmung nicht leer, dort ist immer noch Luft vorhanden, in der "Austausch" stattfindet.


Wenn ein Patient längere Zeit hyperventiliert und seine Sauerstofftanks richtig voll sind, wird er nicht mehr allzu viel Sauerstoff aus der Luft aufnehmen - es kommt also prozentual etwas mehr Sauerstoff aus dem Patienten raus, da dieser einfach nicht mehr aufnehmen kann. (Ich hoffe, das wolltest du beschreiben...:)). Dieser Vorgang ist für die Hyperventilation aber nicht wirklich relevant.


Wichtig ist, dass durch das erhöhte AMV mehr CO² aus der Lunge herausgeholt wird, und somit das CO² im Körper (und somit auch irgendwann der Ausatemluft) langsam abfällt.

14.08.2014, 15:23
achso! jetzt habe ich es gerade verstanden !! vielen, vielen Dank ! :))

14.08.2014, 15:26
Dann war der Sprung des guten Herrn ja doch zu was gut:)

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