Externer Einsatz

Hier könnt ihr erlebte Einsätze schildern und sie können von uns gemeinsam besprochen werden.

Foren-Übersicht Erste Hilfe, Rettung und Medizin Besprechung von Szenarien

05.04.2011, 21:28
Der Schulsanitätsdienst einer beruflichen Schule in Kiel betreut am 26. 01. 2011 eine Schulsportveranstaltung, die ca. bis 14.00 Uhr dauert.

Nach Ende der Veranstaltung beschließen einige Helfer, in einer nahegelegnen Kantine etwas essen zu gehen, um später eine am Abend stattfindende Informationsveranstaltung der Schule zu betreuen.

Auf dem Weg zum Restaurant findet das Team (zwei LRA, ein Sanitäter im Einsatzdienst und eine Sanitätshelferin) in der Nähe einer Kreuzung (ca. 500 m von der Dienststelle entfernt) gegen 14.29 Uhr eine auf dem Boden liegende ältere Dame vor.

Die Patientin bewegt sich augenscheinlich nicht mehr und liegt in Rückenlage leicht bekleidet auf dem Gehweg. Zwei Passantinnen treffen zeitgleich mit dem Team bei der Patientin ein.

Da (verständlicherweise) kein Material mitgeführt wird, kümmern sich die beiden Rettungsassistenten zunächst um die Patientin, während die Passanten Decken aus einem in der Nähe befindlichen Altenheim holen sollen.

Die Dame ist ansprechbar, wirkt aber stark desorientiert und zittert. Der Puls ist peripher am Handgelenk (schlecht) tastbar, arrhythmisch mit einer Frequenz von ca. 100. Bei der Pulsmessung fällt eine Hypothermie auf (Außentemperatur nur knapp über dem Gefrierpunkt), aufgrund des Kältezitterns befindet sich die Patientin jedoch noch im Abwehrstadium, daher wird von einer KKT zwischen 34 und 37 Grad ausgegangen. Die Atemfrequenz ist normal, die Person ist blass, es liegt aber keine Zyanose vor.

Im Anschluss wird kurz überlegt, ob es Sinn macht, Material aus der Dienststelle zu holen, aufgrund der Entfernung und der vermuteten schnellen Eintreffzeit des Rettungsdienstes (ca. zwei Kilometer entfernte Wache) wird dieser Plan jedoch verworfen.

Der Sanitäter tätigt in der Zwischenzeit den Notruf (Kollabierte, ältere Person, nicht orientiert, Hypothermie) und fordert einen Rettungswagen an.

In der Zwischenzeit treffen auch Decken aus dem Pflegeheim ein, eine examinierte Pflegekraft kommt ebenfalls hinzu, um zu sehen, ob es sich bei der Patientin um eine Heimbewohnerin handelt. Dies ist nicht der Fall.

Die Decken werden auch unter die Patientin gelegt und der Kopf etwas hochgelagert. Hierzu kniet sich die Sanitätshelferin hinter die Patientin und übernimmt in dieser Position auch die Betreuung.

Ein RettAss erhebt derweil eine Anamnese gem. S-KAMEL-Schema.
Die Patientin ist leicht tachykard, wahrscheinlich hypoton und unterkühlt. Es liegen diverse internistische Grunderkrankungen (Herz, Diabetes...) vor, jedoch treten hier keine akuten Symptome auf, die sich einer Erkrankung zuordnen lassen. Trotzdem kann sich die Patientin nicht an alle Grundleiden erinnern und wirkt nach wie vor verwirrt bzw. leicht dement. Die 1924 geborene Patientin muss täglich mehrere Medikamente einnehmen, kann aber nicht mitteilen, um welche es sich handelt. Lediglich die Einnahme eines Thrombozythenaggregationshemmers kann anamnestisch in Erfahrung gebracht werden. Allergien werden verneint. Die letzte Mahlzeit wurde morgens eingenommen, die Pat. musste sich jedoch danach übergeben. An den Sturz und die unmittelbare Zeit davor kann sich die Dame jedoch nicht mehr erinnern.

Ein Bodycheck ergibt keine weiteren Verletzungen, Pupillenraktion seitengleich auf Licht, Handdruckkreuzprobe ohne Befund.

Der um 14.32 nachgeforderte Rettungswagen trifft um 14.37 Uhr an der Einsatzstelle ein und übernimmt die Patientin nach einer Übergabe. Erfreulicherweise wurde das Fahrzeug auf der Anfahrt schon über einen Wärmetauscher vorgeheizt, sodass die Patientin zur weiteren (gerätediagnostischen) Untersuchung direkt ins Warme verbracht werden kann.


Diskussion:

Es muss nicht immer viel Material sein!

Auch "rein verbal" lassen sich viele Parameter beurteilen. So kann die Stärke/Qualität des Pulses Aufschluss über den Blutdruck geben, Herzrhythmusstörungen lassen sich durch einen unregelmäßigen Puls feststellen. Auch auf Zeichen eines Schocks (Zentralisation, verlängerte Rekapilarisationszeit bei Nagelprobe, 3-K-Schweiß) kann durch Ersthelfer geachtet werden. Viele Informationen lassen sich auch durch eine ordentliche Anamnese generieren. Das SAMPLE oder S-KAMEL-Schema bietet eine gute Merkhilfe zu den abzufragenden Inhalten.

Es ist sehr die Frage, ob das Nachholen der Notfallausrüstung hier zu einem Qualitätsgewinn geführt hätte. Aufgrund der langen zurückzulegenden Strecke (800-1000m) wäre es eh wahrscheinlich erst zeitgleich mit dem RTW eingetroffen, obwohl Personal zum Holen vorhanden gewesen wäre.

Es ist wichtig, dass Schulsanitäter auch ohne Material Basismaßnahmen gut beherrschen und anwenden können, denn wie dieser Fall beweist: Unverhofft kommt oft. (Und immer direkt vor der Mittagspause oder vor Feierabend...) ;)

Abschließend möchte ich mich noch einmal bei allen Beteiligten, insbesondere auch den Berufsfeuerwehr-Beamten vom 11/83/4, für die gute Zusammenarbeit bedanken.
Zuletzt geändert von Hajo Behrendt am 05.04.2011, 22:06, insgesamt 3-mal geändert.
35 Jahre, Im-RTW-beim-Patienten-Sitzer, hauptamtlicher "Zivi"-in-den-Hintern-Treter, ehrenamtl. Löschknecht, Obermufti von einigen SSDs -- im schönsten Bundesland der Welt: Schleswig-Holstein!

05.04.2011, 22:39
Das ein RTW vorgeheizt an der Einsatzstelle eintrifft ist für mich selbstverständlich.

Noch nicht ganz verstanden habe ich worauf du hinaus willst. Und wie es dazu kommt das zwei LRA im SSD tätigt sind...
" Die jungen Leute von heute sind wesentlich angenehmer als in den 60er, 70er und 80er Jahren. Sie sind toleranter und respektvoller, auch älteren Leuten gegenüber. "
- Heino

05.04.2011, 23:00
Ich weiß auch noch nicht genau, worauf du hinaus willst, habe aber eine Anmerkung:
Ich hätte trotzdem das Material holen lassen, da ihr genügend Personal hattet, um es zu holen. Wäre nämlich der nahegelegene RTW schon im Einsatz gewesen, hätte sich das Eintreffen des Rettungsmittels dementsprechend verzögert und ihr wärt noch zum spielen gekommen.
Ich bin als Rettungsschwimmer geboren, mit Wasser gestillt und aufgezogen! Hurra!:P

leverkusen.dlrg.de
www.drk-lev.de

06.04.2011, 10:09
Das ist ein gutes Beispiel, das zeigt, daß man auch ohne "Werkzeug" doch einies machen kann.

Ich hätte Material auch nicht holen lassen aus der Wache. Aber ich hätte einen von meinem Team zum nahegelegenen Altenheim (ich gehe mal davon aus, das es um einies näher war als die Wache) und hätte von dort versucht, für den Fall das der RTW eine längere Anfahrt gehabt hätte nen Notfallkoffer oder Ähnliches zu bekommen.
Wir werden aus den schönsten Träumen gerissen,
um so manchen Alptraum zu erleben.

Tauchen - Klettern - Geocaching - Feuerwehr

06.04.2011, 14:22
Das mit dem Notfallkoffer aus dem Pflegehein holen haben wir selbstverständlich versucht. Die Pflegefachkraft teilte und jedoch mit, dass es in der Einrichtung keine Notfallausrüstung gäbe, abgesehen von dem vorgeschriebenen Verbandkasten.

Die Lage des Einsatzortes bzw. der Schule ist so, dass sie von mehreren Rettungswachen aus beinahe zeitgleich zu erreichen ist. Daher war nicht davon auszugehen, dass es länger dauert, bis das nächste freie Rettungsmittel eintrifft. Auch ein Krankenhaus ist nicht weit entfernt, hier stehen meist ebenfalls freie Fahrzeuge bereit.

In der Tat wollte ich mit dieser Fall-Vorstellung darauf hinaus, dass "Basismaßnahmen" auch eine große Rolle im SSD spielen (können), und ein ordentliches Arbeiten auch ohne Blutdruckmessgerät, Pulsoxi und Co. möglich ist.

Es macht durchaus Sinn, Übungsfallbeispiele ruhig auch mal komplett ohne Notfallausrüstung abzuarbeiten, um sich die Bedeutung von "Basics" mal vor Augen zu führen.
35 Jahre, Im-RTW-beim-Patienten-Sitzer, hauptamtlicher "Zivi"-in-den-Hintern-Treter, ehrenamtl. Löschknecht, Obermufti von einigen SSDs -- im schönsten Bundesland der Welt: Schleswig-Holstein!

06.04.2011, 16:49
Ähhmmm...... welche Maßnahmen wurden denn ergriffen? Ihr habt Decken geholt, die Anamnese erhoben und einen Notruf veranlasst. Die Anamnese hat die weitere Therapie letztlich nicht beeinflusst. Die anderen beiden Dinge hätte jemand ohne medizinische Ausbildung aber mit zumindest einem halben Hirn auch so gemacht.

Ich meine: OK - gut gemacht. Aber ich verstehe nicht so ganz, worauf Du hinaus willst.
Es ist Dein Recht, Waffen abzulehnen. Es ist Deine Freiheit, nicht an Gott zu glauben. Aber wenn jemand in Dein Haus einbricht, sind die ersten beiden Dinge, die Du tun wirst: Jemanden mit einer Waffe rufen und beten, dass er rechtzeitig da ist.

07.04.2011, 08:11
Original von Don Spekulatius
Aber ich verstehe nicht so ganz, worauf Du hinaus willst.


Ich denke es geht - wie sonst auch bei hajos Berichten - darum, hier einen Einsatzbericht niederzuschreiben.

Deine Aussage, Don, bestätigt nur was ich immer wieder versuche, unseren angehenden Sanitätshelfern zu vermitteln:

Ihr habt Decken geholt, die Anamnese erhoben und einen Notruf veranlasst. Die Anamnese hat die weitere Therapie letztlich nicht beeinflusst. Die anderen beiden Dinge hätte jemand ohne medizinische Ausbildung aber mit zumindest einem halben Hirn auch so gemacht.


Wenn man seinen gesunden Menschenverstand einschaltet, ist Erste Hilfe (und auch erweiterte EH) gar nicht so schwierig...

07.04.2011, 10:19
Was bedeutet S-KAMEL und SAMPEL?
Auch sonst wäre es vermutlich für die Zielgruppe, für die du den Fallbericht hier schilderst, vermutlich hilfreicher, wenn du auf Fremdwörter verzichten oder sie erläutern würdest.

07.04.2011, 11:17
Das S-KAMEL-Schema ist in unserem Standard für das Auffinden von ansprechbaren Notfallpatrienten elementarer Bestandteil zur Stellung einer Verdachtsdiagnose.

Es ist ein Hilfsschema für eine einheitliche Befunderhebung (Anamnese), die bei uns bei jedem ansprechbaren Patienten im Rahmen eines SOPs (Standard Operating Procedere, fest vorgegebener Algorhythmus) zwingend vorgesehen ist:

S - SYMPTOME (augenblickliche (Haupt-)Beschwerden)
-
K - KRANKHEITEN (vorhandene akute oder chronische Grunderkrankungen)
A - ALLERGIEN / Unverträglichkeiten
M - MEDIKAMENTE (die regelmäßig eingenommen werden)
E - EREIGNIS, AUSLÖSENDES (Tätigkeit und Vorgeschichte beim Auftreten der Beschwerden)
L - LETZTE... (z.B. Mahlzeit, Flüssigkeitsaufnahme, Ausscheidung, Mensturation...)
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