Zusammenfassung:
Zuerst wurde die Unfallstelle abgesichert, wobei auf den Selbstschutz (Warnweste) geachtet wurde. Gut war, dass das Warndreieck vor der Kurve stand (Landstraße ca 150m vor dem Unfall oder hier vor der Kurve), man hätte - falls dies zur Verfügung gestanden hätte auch noch ein zweites Dreieck für die Gegenfahrbahn aufstellen können. Auch das Einschalten der Fahrzeugbeleuchtung ist sicherlich geeignet die Unfallstelle zusätzlich abzusichern (das Warndreieck ist aber Pflicht). Die Beleuchtung der Unfallstelle (Fahrzeug vor dem Unfall) ist im Verlauf hilfreich.
Der Notruf wurde abgesetzt - wichtig, damit man nicht noch längere Zeit überbrücken muss - gerade im ländlichen Raum kann sich das ja ziehen.
Es kam die Frage, ob weitere Verletzte anzutreffen seien. Sichtbar von der Straße war niemand. Jedoch ist von der Auffindesituation (mehrere Meter Brems-, Rutsch- und Flugstrecke) von hoher Rasanz auszugehen, also auch von weiter entfernten Verletzten (Klassiker: Der übersehene Motorradfahrer hinter einem Schild bei einem Unfall auf der Autobahn). Es ist grundsätzlich sinnvoll wache Opfer zu befragen ("wo ist Ihr Socius?" oder "war noch jemand dabei?"). Zeugen sollte man auch fragen, man muss sich aber im Klaren sein, dass diese nicht immer - auch ohne Böses zu wollen - wissen, wieviele Personen verunfallt sind, auch wenn Sie angeben, den Unfall beobachtet zu haben (sog. "Knallzeugen"). Also fragen, aber dennoch die Augen offen halten!
Eine orientierende Untersuchung wurde durchgeführt. Es hätte auffallen können, dass trotz ausgedehnter Schürfwunden der UE kein Schmerz in dieser Region lokalisiert wurde, ebenso fehlte eine motorische Antwort. Es hätte an dieser Stelle bereits der Verdacht auf ein Wirbelsäulentrauma mit Querschnittssyndrom gestellt werden können, was einerseits die Wahrscheinlichkeit eines Schädel-Hirn-Traumas erhöht, andererseits durchaus auch mal zu Blutdruckabfällen führen kann, daher auch präklinisch sehr schnell relevant werden kann.
Die Helmabnahme erfolgte, ein Stiffneck wurde angelegt - korrekt. Der Wärmeerhalt ist auch wichtig (man hätte jedoch, wenn man schon eine Decke hat, die Kleidung aber zumindest vorne vollständig eröffnen können), ich persönlich hätte aber Pat1 eventuell nicht noch auf eine Decke gelegt, sondern nur zugedeckt (Rückenmark).
Die schmerzende rechte Schulter weist auf eine Verletzung in dieser Region hin, was durch das Trauma erklärlich ist. Lebensbedrohlich ist diese Verletzung sicher nicht.
Durch eine zufällige Aussage von Pat1 wurde auf Pat2 hingewiesen, der daraufhin auch aufgefunden wurde (20 min nach Eintreffen am Unfallort).
Im Verlauf trübte Pat1 zunehmend ein - Hinweis auf ein Schädel-Hirn-Trauma (dies kann auch einmal recht unspektakulär sein). Später erbricht dann Pat1.
Es wurde der erwähnte Schockindex moniert. Es ist - wie bereits angesprochen - ein Wert, der heute "out" ist. Definiert ist er als der Quotient aus Herzfrequenz (in 1/min) zu systolischem Blutdruck (in mmHg). Also: HF/RR. Bei Werten ab 1 (also HF größer oder gleich RRsys) geht man von einem Schock aus. Das Problem, weshalb dieser Index auch schon lange wieder verlassen wurde, ist, dass er erst dann positiv wird, wenn der Pat schon tief im Schock ist, man also nur noch "hinterher rennt". Man will aber rechtzeitig vorher gegen den drohenden Schock angehen können. Daher wird dieser Wert heute nicht mehr genutzt (zu wenig sensitiv).
22 und 27 min nach Eintreffen der Ersthelfer trifft der RD ein.
Pat2 wurde der Helm abgenommen und mit einem Stiffneck versorgt. Auch hier gilt "keine Diagnose durch die Hose" - die Ledermontur hätte weiter entfernt werden können. Dennoch hätten die Kreislaufwerte von Pat2 alarmieren müssen (hier kein "stay and play", sondern eher "load and go"): Tachycarder, zentralisierter Pat mit Luftnot und (gerade auch für das Alter -> hohe Kompensationsfähigkeit) schlechter Blutsättigung.
Bei der Versorgung hätte ich mir gewünscht, dass frühzeitig eine sterile Abdeckung der Pfählungsverletzung und Stabilisierung - z.B. mittles Dreieckstuch - im Bereich der Ein- und Austrittsstelle erfolgt wäre, Manipulationen am Pfahl sind unbedingt zu vermeiden. Das Ganze sollte ohne Zeitverzug erfolgen.
Bei Pat1 musste Erbrochenes entfernt werden. Eine Intubationsindikation (GCS kleiner/gleich acht) bestand, da zum einen dadurch eine höhere Transportstabilität erreicht werden konnte, zum anderen, da der Glasgow Coma Score (GCS) nur noch 6 (Augen nie offen 1; keine Sprache 1; ungezielte Abwehr 4) betrug. Da Pat1 nur noch mit der li Seite abwehrte (bei gleichzeitiger Anisokorie), srach dies für eine Raumforderung (z.B.) Blutung im Bereich der linken Großhirnhemisphäre.
Bei Aussagen zu Infusionen ist es immer sinnvoll anzugeben, was man haben möchte (es sind Medikamente mit unterschiedlichen Wirkungen!) RiLac wäre hier sicherlich nicht falsch. Auch sollte man sagen, welcher Zugang gewünscht wird (22G => ~34 ml/min; 14G => ~340 ml/min), da dies entscheidend sein kann (hier: 16G oder 14G, einer li, einer re). Auch die Flussgeschwindigkeit (langsam oder im Schuss) sollte genannt werden (hier im Schuss).
Mit dem EKG wollte ich niemanden ärgern. Ich glaube nur, dass man nur die Diagnostik machen sollte, die man auch interpretieren kann. Oder wenn man eine Pulskontrolle mittels EKG wünscht, sollte man dies sagen, z.B. "EKG zur Pulskontrolle". Zu den Begriffen: Sinusrhythmus ist der normale Rhythmus, Indifferenztyp und Steiltyp sind die "normalen" Lagetypen, die der Ausbreitung der Erregung im Herzmuskel entsprechen. QTrel ist eine normierte Zeit zwischen zwei Punkten im EKG (Q-Zacke unt T-Welle), bei Werten über 120% steigt das Risiko für tachycarde Herzrhythmusstörungen (bis zum Kammerflimmern) dramatisch an. R/S-Umschlag ist der Punkt, an dem die R-Zacke kleiner wird als die S-Zacke (nett, aber meist nicht sehr hilfreich), Hypertrophiezeichen sagen etwas über die Belastung der Herzkammern (und ihre Größe) aus (z.B. bei einer Herzinsuffizienz), die PQ-Zeit (normal 0,12-0,21sec, Zeit zwischen P-Welle und Q-Zacke) ist bei zusätzlichen Leitungsbahnen zwischen Vorhof und Kammer verkürzt (kann zu bestimmten Tachycardien führen), beim AV-Block verlängert (braycarde Herzrhythmusstörung), Erregungsrückbildungsstörungen können auf Elektrolyt- (Blutsalz-)Veränderungen hinweisen, die ebenfalls hier zu prüfenden ST-Streckenveränderungen (zwischen S-Zacke und T-Welle) können Hinweise (bei ST-Hebung) auf einen Herzinfakrt geben, Extrasystolen sind zusätzliche Schläge des Herzens bei Herzrhythmusstörungen.
Die Krankenhäuser: ich war mir einerseits nicht sicher, ob die Teilnhmer lieber Kaffee oder Bonbons mögen. Andererseits wollte ich, dass eine Triage der beiden Pat nötig wird, die dann auch begründet werden musste. Sowohl KH1 und KH2 hätte eine initiale Bluttransfusion von Pat2 ermöglichen können, aber sicher keine definitive Versorgung. Am ehesten in der Lage, die Pat zu versorgen sind KH4 und KH5. Die Uniklinik KH5 ist der Ort für Pat1 (schonenderer Transport im RTH, bessere Versorgung eines Hirn-Rückenmark-Verletzten). Über eine Versorgung von Pat2 in KH4 hätte man diskutieren können, wenn dieser weniger kreislaufinstabil gewesen wäre und die Klinik ohne Reanimation erreicht hätte (Polytrauma-Reanimation hat eine extrem schlechte Überlebenschance - dennoch bei Kapazität präklinisch durchzuführen). Die Neurochir-Belegbetten in KH2 sind sicher ungeeignet (Belegbetten: niedergelassener Arzt operiert z.B. 3x pro Woche z.B. je 3 Bandscheibenvorfälle im Krankenhaus)
Zur Intubation von Pat1: Ketamin und Dormicum zur Narkose, Succinylcholin zur Relaxierung (Erschlaffenlassen des Muskeltonus) ist generell sehr beliebt. Jedoch kommt es hierunter zu einer Steigerung des Hirndrucks. Dies ist normalerweise kein Problem, deshalb wird es - da auch sehr gut verträglich - gerne genutzt. Bei einem Pat jedoch, der wegen eines Hirndrucks (durch z.B. eine intrakranielle Blutung) komatös (Augen sind zu) geworden ist, kann dies tödlich sein. Der Hirndruck steigt nicht unter Fentanyl und Etomidat zur Narkose, weshalb man dieser Kombination beim Schädel-Hirn-Verletzten den Vorzug geben wird. Die Relaxierung mit Succinylcholin ist präklinisch in Notfallsituationen üblich (da schneller als mit Curare-Abkömmlingen). Eine langanhaltende Relaxierung (mit einem Curare-Abkömmling) ist wünschenswert. Eine leichte Hyperventilation ist zur kurzfristigen Senkung des Hirndrucks sinnvoll (damit der Pat die Klinik lebend erreicht).
Pat1 wurde in die nächstgelegene Klinik der Maximalversorgung verbracht, übergeben und adäquat weiterversorgt (vgl. hierzu auch die Leitlinie der dt. Gesellschaft für Neurochirurgie: AWMF Nr. 008/001 auf
http://leitlinien.net/ .
Die Untersuchung von Pat2 zeigte einen gulten Blutzuckerwert, eine schlechte Blutsättigung und - bei einem Pat im Schock - eine unbelüftete re Lunge (mit dem Pfahl drinnen) als Hinweis auf einen Pneumothorax. Die Arbeitsdiagnose wäre also ein (Hämato-)Pneumothorax mit hypovolämischem Schock bei Verdacht auf eine Blutung in die rechte Brusthöhle. Im weiteren Verlauf fiel der Blutdruck weiter ab, der Pat2 zentralisierte vollständig (Pulsoxymeter maß nichts mehr), bevor er nach Unternehmen einer Reanimation verstarb.
Ich hätte mir jedoch gewünscht, dass sich jemand von den mindestens 25 Anwesenden (4SanH, 4FF, 2Polizei, 6Feuerwehr, RS/RA RTW1, RS/RA RTW2, RA/NA NEF, RA/NA/Pilot RTH)- auch nach der Triage von Pat2 in Behandlungskategorie 4 - um diesen Pat gekümmert hätte. Für Schmerztherapie und menschlichen Beistand gab es genug Kapazitäten.
Alles in allem kann man jedoch zusammenfassen, dass das Fallbeispiel Landstraße trotz widriger Bedingungen von allen Beteiligten adäquat und gut gelöst wurde, sodass sämtliche Patienten gefunden und versorgt wurde sowie beide nach 61min bzw. 64min (trotz der langen Anfahrtzeit des RD!) ein Krankenhaus lebend erreicht haben.
Vielen Dank allen Teilnehmern!
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