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Behandlung von anaphylaktischen Reaktionen

BeitragVerfasst: 07.06.2010, 17:29
von Tone Bone
Durch Zufall bin ich auf einen Beitrag aus einer Zeitschrift zum Thema Anaphylaktische Reaktionen gestoßen und habe mich über eine Aussage gewundert.

Bei der Behandlung steht u.a. folgende Aussage:
Behinderung weiterer Allergenresorption (falls möglich, Abbinden und Blutleerdrücken der Stichstelle)

Quelle: Schmid, Ludwig: Notfall-Sets: Adrenalin für Allergiker. Aus: Pädiatrie hautnah. 1-

Meine Frage zu diesem Thema: Ist das noch aktuell?
Von einem Kollegen erhielt ich die Aussage, dass dies veraltet ist und ein Abbinden die Resorption nicht verhindern bzw. verlangsamen könnte, da der Abtransport des "Giftes" über die Venen erfolgt, die durch eine normale Abbindung kaum verschlossen werden. Zudem wäre dieses Verfahren kontraproduktiv, da hierdurch die Blutversorgung verhindert wird und ein Ausbluten des Giftes erschwert wird.

Über (fachkundige) Antworten würde ich mich freuen!

BeitragVerfasst: 07.06.2010, 17:39
von Hajo Behrendt
Wieso werden bei einer Abbindung die Venen nicht mit verschlossen?

Eine venöse Stauung zu erreichen ist doch wesentlich leichter, als eine Abbindung vorzunehmen. Da genügt doch schon ein Stauschlauch...

Die Venen liegen doch an den Extremitäten eher hautnäher als die Arterien...

Das mit dem "Blutleerdrücken" erschließt sich mir nicht...

Man muss außerdem schauen, was mit "Allergischer Reaktion" gemeint ist.

Im (S)SD reden wir normalerweise von allergischen Schocks. Hier hilft nur eine zügige, korrekte Behandlung und die schnellstmögliche Adrenalinzufuhr, z.B. durch Pens, die dem Pat. in den Muskel injekziert werden.
Wenn der allergische Schock eintritt, hat sich aber das Allergen schon im ganzen Körper verteilt.

Die Abbindung müsste also superschnell erfolgen und korrekt durchgeführt werden. Ob das immer der Fall ist, wage ich zu bezweifeln.

Wer von unseren Medi-Cracks hat da den neuesten Stand?

BeitragVerfasst: 07.06.2010, 17:40
von Hajo Behrendt
Edit: Natürlich muss das Allergen im Rahmen der Möglichkeiten auch schnellstens entfernt werden (z.B. ziehen des Bienenstachels, Abwaschen der Hautkontaktstelle, Verbringung an die frische Luft...)

BeitragVerfasst: 07.06.2010, 17:44
von Tone Bone
Ich habe mich gerade nochmals informiert:

So ist hier das Wort "Abbinden" vermutlich falsch gewählt und sollte vielmehr durch "Venöse Stauung" ersetzt werden (was ja ansich auch gut und förderlich ist).

Dass ich Venen und Arterieren vertauscht habe, tut mir Leid...leider in aller Schnelle vertan.

@Hajo: War nur ein kurzer Auszug zu den Maßnahmen, die anderen erwähnten Dinge sind alle in dem Artikel aufgeführt, ergänzt durch einige weitere Dinge.

BTW: Was mir noch aufgefallen ist: In diesem Artikel wird noch der Begriff der "Trendelenburg-Lagerung" verwendet... komische Sache, obwohl der Artikel ja erst 5 Jahre alt ist...

BeitragVerfasst: 07.06.2010, 17:48
von Hajo Behrendt
Um das beurteilen zu können, müsste man den Artikel im Original gelesen haben.

Die Bezeichnung der Lagerung ist ja nicht falsch, einigen Medizinern ist das Wort "Schocklage" wohl zu trivial. Das muss in einigen Publikationen wohl wissenschaftlicher klingen...

BeitragVerfasst: 07.06.2010, 18:49
von Don Spekulatius
Original von Hajo Behrendt
Die Bezeichnung der Lagerung ist ja nicht falsch, einigen Medizinern ist das Wort "Schocklage" wohl zu trivial. Das muss in einigen Publikationen wohl wissenschaftlicher klingen...

Nein, es muss nicht wissenschaftlicher klingen. Trivial wäre es gewesen, mal zu googeln, was denn nun der Unterschied zwischen Schocklage und Trendelenburg-Lagerung ist. ;)

BeitragVerfasst: 07.06.2010, 18:52
von GeKue
Nun ja, wenn man ganz kleinlich sein will ist die Trendelenburg-Lagerung das, was man im RTW samt Tragetisch macht (oder im KH mit dem kompletten Bett). Sprich, die achsengerechte Lagerung des gesamten Körpers in Kopf-tief-Lage im Gegensatz zu der Schocklage, bei der zumeist nur die Beine hoch gelagert werden.

Das die Venen nun unbedingt "hautnah" liegen an den Extremitäten sei mal dahin gestellt. Kommt drauf an, von welchen wir hier reden. ;) Die oberflächlichen, die wir mit dem Stauschlauch erwischen, gehören zweifelsohne dazu.
Die Technik des Abbindens (und "heraus quetschens" unmittelbar nach Ereignis) ist mir nur für Schlangengifte bekannt und wird dort auch so praktiziert. Alles andere erschliesst sich mir nicht, da ich das Gewebe nur einer unnötig hohen Belastung aussetzen würde, wobei das Gift eh schon systemisch verteilt ist.

BeitragVerfasst: 07.06.2010, 20:54
von peit
Gerade bei einer allergischen Reaktion ist es ja kein Gift im eigentlichen Sinne, sondern die überschiessende Reaktion des Körpers auf eine eigentlich ungefährliche Menge.

"Die Technik des Abbindens (und "heraus quetschens" unmittelbar nach Ereignis) ist mir nur für Schlangengifte bekannt und wird dort auch so praktiziert."
Bei Schlangen wird die Extremität nicht abgebunden, sondern man wickelt einen Kompressionsverband. Das "Aussaugen" ist auch nur bei Vipern u.ä. Schlangen relevant - bei neurotoxischen Schlangen bringt hingegen nichts.

BeitragVerfasst: 10.06.2010, 15:58
von Don Spekulatius
Ich hätte diese Maßnahme auch als nicht unbedingt sinnvoll angesehen. Schön, wenn man dann genötigt wird, die entsprechenden Leitlinien nachzulesen. Dort findet man in der Tat:

Die Therapiemaßnahmen richten sich nach der Anamnese (z. B. auslösendes Agens und zeitlicher Verlauf) und dem klinischen Befund (Erscheinungsbild und Schweregrad) [68, 69]. Die sofortige Beendigung der Zufuhr des mutmaßlichen Auslösers ist die erste Maßnahme, um gegebenenfalls durch Anlage eines Tourniquets mit Unterbrechung des arteriellen Bluteinstroms und venösen Abstroms die Einschwemmung des Allergens zu unterbinden.
Zu den Basistherapiemaßnahmen bei Anaphylaxie zählen geeignete Lagerung (flach, Trendelenburg) [67] und das Anlegen eines venösen Zugangs. Möglichst frühzeitig sollten Rachen und Kehlkopf eingesehen werden, um ein lebensbedrohliches Ödem an Larynx oder Zungengrund rechtzeitig zu erkennen.
Bei manifesten kardiovaskulären oder pulmonalen Reaktionen empfiehlt sich die Applikation von Sauerstoff. Bei bedrohlicher Hypotonie und/oder respiratorischer Insuffizienz reicht die Sauerstoffzufuhr über eine Sonde allein nicht aus. Beatmung mit 100% Sauerstoff, möglichst über einen endotrachealen Tubus (oder Larynxmaske), ist erforderlich.
Bei manifestem Larynxödem kann die Intubation nicht mehr durchführbar sein. In diesen seltenen Fällen stellen die Koniotomie oder Nottracheotomie und die anschließende Beatmung dieletzte Möglichkeit zur Aufrechterhaltung der Oxygenierung dar. Die aufgrund ihrer geringen Invasivität häufig propagierte Dilatationstracheotomie ist wegen des höheren zeitlichen Aufwands im Notfall ungeeignet.
Generell sollte bei der Notfalltherapie eine naturgummilatexfreie Versorgung angestrebt werden.


Edit: Quelle: http://www.uni-duesseldorf.de/AWMF/ll/061-025.htm

BeitragVerfasst: 10.06.2010, 16:02
von Tone Bone
Danke für die Aufklärung! :)

Eine weitere Rückfrage, die du, Don, mir vlt. beantworten kannst:
Weshalb bindet man ab und legt nicht nur "lediglich" einen venösen Stau an? Wie kriegt man das Allergen sonst aus der Extremität, wenn nicht durch das klassische Ausspülen (durch das Bluten)?